Fahrzeuge, die mitsamt Insassen von den reißenden Fluten fortgerissen wurden. Menschen, die sich verzweifelt an Bäumen festklammerten, um nicht zu ertrinken. Familien, die auf Hausdächer flüchteten, weil das Wasser auf den Straßen gleich mehrere Meter hoch stieg. Die schlimmste Unwetterkatastrophe seit Jahrzehnten sorgte in der spanischen Mittelmeerregion Valencia für apokalyptische Szenen.
Dutzende Todesopfer, viele Vermisste
Es war eine Sintflut, die binnen weniger Stunden die Urlaubsregion in eine Hölle verwandelte. Nach vorläufigen Angaben starben mindestens 95 Menschen in den Regenmassen, die die Straßen in der Stadt Valencia und in umliegenden Dörfern in wilde Flüsse verwandelten. Dutzende Menschen wurden noch vermisst. Die Zahl der Opfer dürfte also noch steigen. Auch in Nachbarprovinzen gab es Tote.
Der Albtraum begann bereits am Dienstag, als in Valencia ein extremer Starkregen vom Himmel fiel. Ein Extremregen, wie ihn die normalerweise so sonnige Region seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hatte. Bis Mittwochmorgen fielen mancherorts bis zu 500 Liter pro Quadratmeter. Das entspricht der Regenmenge, die hier sonst in einem Jahr gemessen wird.
In einem Einkaufszentrum nahe Valencias waren am Abend noch 50 Menschen eingeschlossen. „Bitte schickt uns Hilfe”, flehte von dort ein Mann namens Juan in sein Telefon, mit dem er beim Radiosender SER anrief. Er hatte zuvor vergeblich die Rettungsleitstelle angewählt. Sie war wegen der vielen Notrufe völlig überlastet. „Wir sind auf dem Dach eines Tanklasters, insgesamt acht Leute”, berichtete Juan. „Das Wasser steigt immer weiter. Hier sind viele Menschen auf den Dächern ihrer Autos. Wir werden nicht mehr lange durchhalten. Bitte rettet uns.” Auf Videos in sozialen Netzwerken sieht man, wie der Parkplatz einem riesigen See glich, Autos trieben im Wasser, die nahe Autobahn ein breiter Strom.
Viele überschwemmte Gebiete waren zu diesem Zeitpunkt weiter von der Außenwelt abgeschnitten. Die Retter waren mit Hubschraubern unterwegs, um Überlebende oder Leichen zu bergen. Über 1000 Soldaten waren im Einsatz. Vielerorts fiel die Stromversorgung aus, Handys funktionierten nicht.
Ein Spanier mit dem Namen Rafa gehört zu den Glücklichen, die sich aus der Wasserflut retten konnten. Nach seiner Bergung berichtet er: „Ich war mit dem Wagen auf der Autobahn unterwegs, als plötzlich immer mehr Wasser auf die Fahrbahn strömte, immer höher stieg und den Verkehr lahmlegte. Wir sind aus dem Auto raus, haben anderen Leuten geholfen und haben uns durch das Wasser bis zu einer Brücke durchgekämpft.”
Der Mann musste zusehen, wie andere Menschen nicht mehr aus ihren Autos herauskamen und mitsamt ihren Fahrzeugen fortgespült wurden. Neun Stunden harrte er auf der Brücke aus, bis die Retter zu ihm durchkamen. „Ich habe Glück gehabt”, sagt er. „Ich habe zwar materielle Dinge verloren, das Auto ist im Wasser weggetrieben. Aber ich lebe noch.“
Die meisten Todesopfer gab es aber nicht in der Stadt Valencia, sondern im Hinterland. Vor allem die Dörfer der Region wurden heftig von den sintflutartigen Regenfällen getroffen. Viele enge Gassen, in denen es oftmals auch noch an Kanalisation mangelt, wurden zu reißenden Sturzbächen. Ob auch ausländische Urlauber unter den Opfern sind, war zunächst unklar. Die Mittelmeerregion ist im Herbst vor allem bei europäischen Pensionisten beliebt.
„Dramatische Realität des Klimawandels“
Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, sagte Spanien Hilfe zu. Sie wies aber auch darauf hin, dass diese Katastrophe ein weiterer Beleg für die Erderwärmung sei und für die Notwendigkeit, die Klimaveränderung zu bremsen: „Innerhalb weniger Monate haben Überschwemmungen Mittel- und Osteuropa, Italien und jetzt auch Spanien heimgesucht. Dies ist die dramatische Realität des Klimawandels.”
Am Mittelmeer ist der drohende Klimakollaps besonders stark spürbar: Das Wasser vor der spanischen Festlandküste wie auch rund um Mallorca erreichte im Sommer fast 30 Grad. Forscher hatten gewarnt, dass dies die Bildung von Herbstunwettern begünstigen werde.
Ralph Schulze, Madrid