„Ein Vergewaltiger ist nicht der, den man nachts am Parkplatz trifft. Er kann auch in der Familie, unter Freunden sein“, sagt Gisèle Pelicot am Mittwoch vor dem Gericht in Avignon. Seit knapp zwei Monaten läuft dort der Prozess gegen Dominique Pelicot und 50 weitere Männer.
Pelicot hat gestanden, seine damalige Ehefrau wiederholt mit Medikamenten bewusstlos gemacht und Dutzende Männer dazu eingeladen zu haben, sie zu vergewaltigen. Er nutzte dafür ein Online-Forum mit dem Namen „Ohne ihr Wissen“. Nun sagte Gisèle Pelicot erstmals öffentlich aus.
Öffentlicher Prozess als Signal
Solche Prozesse finden sonst unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, Opfer sollen ihre Anonymität bewahren dürfen. Gisèle Pelicot wollte das nicht. „Die Scham muss die Seite wechseln“, sagt sie. Nicht sie stehe vor Gericht, sondern die angeklagten Männer. Gisèle Pelicot ist 72 Jahre alt und Großmutter. 50 Jahre lang war sie mit Dominique verheiratet.
Sie höre heute oft, sie sei mutig. „Es ist kein Mut“, sagt sie. „Es ist der Wille und die Entschlossenheit, die Gesellschaft zu verändern.“ Die ehemalige Logistikmanagerin mit dem roten Bob-Haarschnitt wird in Frankreich als feministische Ikone gefeiert. In einem Land, in dem die MeToo-Bewegung nie die Hebelkraft hatte wie anderswo, könnte dieser Prozess tatsächlich vieles verändern. Angefangen damit, wie Polizisten mit Opfern von Sexualverbrechen umgehen.
Männer waren keine Unbekannten am Parkplatz
Ins Rollen kamen die Ermittlungen übrigens erst, weil Dominique Pelicot dabei erwischt wurde, als er heimlich in einem Supermarkt einer Frau unter den Rock fotografierte. In Frankreich ist „Upskirting“ seit 2018 verboten, in Österreich seit 2021.
Nicht alle Männer sind so, heißt es oft. Nein, nicht alle, aber in Avignon stehen nun 51 vor Gericht. 51, die in einem 60-Kilometer-Radius rund um Gisèle Pelicots Zuhause in Mazan gelebt haben. Soldaten, Journalisten, LKW-Fahrer, Nachbarn – keine Unbekannten am Parkplatz.