Man könnte es für ein modernes Kunstwerk halten: Eine Struktur aus Betonplatten, fünfeinhalb Meter breit und dreieinhalb Meter hoch, hebt sich schemenhaft vor dem tiefblauen Hintergrund ab. Fast wie Hochhausblöcke, die sich aus dem Nebel einer Großstadt schälen. Doch es handelt sich nicht um ein Unterwassermuseum, sondern um einen von Menschen geschaffenen Lebensraum für Meeresbewohner. Diesen März wurde die „Sea Oasis“ vor der slowenischen Stadt Piran am Meeresgrund aufgestellt. Die Betonstruktur, die als künstliches Riff fungiert, bietet unzähligen Arten ein Zuhause. Sie dient der Forschung und soll das zerbrechliche Ökosystem des Meeres unterstützen.

„Wir entdecken ständig neue Arten“

„Korallenriffe sind Hotspots der Biodiversität. Doch der größte Teil eines Riffs besteht eigentlich aus totem Gewebe“, erklärt Irena Fonda, Direktorin und Mitgründerin des Your(R)Sea-Instituts, das hinter der Meeresoase steht. Bereits nach wenigen Monaten reicht das Artenspektrum in den Rinnen und Gräben dieses maritimen Wohnblocks von diversen Fischarten über Muscheln, Schnecken und Seepferdchen bis hin zu Stachelhäutern wie dem Schlangenstern. „Wir entdecken ständig neue Arten, die hier ein Zuhause finden“, berichtet die Biologin. Für Irena Fonda, ihren Bruder Lean und das Team, bestehend aus Jurij Kavčnik, Jurij Giacomelli und Mateja Munihč, ist das Projekt die Verwirklichung einer Idee, die bereits über 30 Jahre alt ist.

Familie mit Herz für Umweltschutz

Begonnen hat alles mit einer Fischfarm, die keine sein wollte. Die Familie Fonda ist seit jeher untrennbar mit dem Meer verbunden. Irena Fonda und ihr Bruder Lean sind Meeresbiologen, wie es ihr verstorbener Vater Ugo Fonda auch war. Die Familie hat seit Jahrzehnten ein erfolgreiches Unternehmen für Unterwasserarbeiten. „Mein Bruder machte seinen ersten Tauchgang mit vier Jahren“, erzählt Irena. „Mit sechs Jahren hatte er eine kleine Harpune und fing genug Fisch für die ganze Familie. Unser Vater hat ihm damals beigebracht, dass er niemals mehr als fünf Fische holen durfte – genau so viel, wie die Familie essen kann.“

Eine ökologische Katastrophe in den 80ern führte dazu, dass sich die Fondas verstärkt dem Umweltschutz zuwandten. Unkontrolliertes Algenwachstum hatte den Bestand an Meerestieren massiv verringert. „Unser Vater war ein begeisterter Sportfischer und war jeden Tag auf dem Wasser“, erzählt Irena Fonda. „Aber irgendwann bemerkte er: Es gibt kaum noch Fische bei uns.“ So entstand der Gedanke, eine Unterwasserstruktur zu schaffen, die einen zusätzlichen Lebensraum bieten sollte. Da es damals keine Genehmigungen für so ein Projekt gab, entschloss sich Ugo Fonda stattdessen, eine ökologische Fischfarm zu gründen, die der Umwelt nicht schaden, sondern sie aktiv unterstützen sollte.

Gut laufende Fischzucht

Die Ansprüche an den eigenen Betrieb waren entsprechend hoch. Man verzichtete weitgehend auf Chemikalien und setzte auf hochwertiges Futter, wobei darauf geachtet wurde, dass die Ausscheidungen der Fische auch als Nahrungsquelle für andere Meeresbewohner dienten. Der Aufwand, den die Familie bei ihrer Fischzucht betrieb, sorgte oft für Kopfschütteln. Doch schon nach wenigen Jahren zahlte sich die Mühe aus. Die Fische, die unter dem Etikett „Fonda Piran Sea Bass“ (Goldbrasse und Wolfsbarsch) verkauft werden, sind heute eine gefragte Marke in Restaurants und bei Fischhändlern außerhalb Sloweniens.

Neben dem Fischgeschäft setzten die Fondas früh auf eine besondere Form des Bildungstourismus: Sie öffneten ihren Betrieb für Besucher, boten Führungen und Verkostungen an und vermittelten als Biologen Wissen über die Unterwasserwelt und den Schutz der Meere. „Menschen aus 133 Ländern haben uns bisher besucht“, erzählt Irena Fonda.

Weitere künstliche Riffe sind geplant

Dass die alte Idee des Vaters wieder auflebte, verdankt sie just der Corona-Pandemie. „Für uns waren das harte Zeiten. Wir mussten unseren Fisch weiterhin verkaufen, obwohl die Restaurants zu waren“, erinnert sich Fonda. „Irgendwann begannen mein Bruder und ich uns zu fragen: Was ist uns eigentlich wichtig? Mein Bruder taucht fast jeden Tag und sagte: ‚Das Meer ist in noch schlechterem Zustand als vor 30 Jahren. Ich würde gern zumindest eine der Strukturen bauen, die sich unser Vater vorgestellt hatte‘. Und ich dachte: ja, vielleicht können wir das wirklich schaffen.“

In den folgenden Monaten nahm das Projekt immer mehr Gestalt an. Die Fondas gründeten dazu die gemeinnützige Organisation You(R)Sea, starteten eine Crowdfunding-Kampagne, um Geld im Internet zu sammeln. Das Projekt nannten sie Sea Oasis – Meeresoase. Weitere künstliche Riffe sind geplant. Zudem initiierten die Fondas das Projekt Blue School, das neben Bildungsprojekten auch Aufräumaktionen organisiert, um das Meer und die Strände von Müll zu befreien. „Mein Vater ist seit 13 Jahren tot. Ich hoffe, er sieht von irgendwo, was wir erreicht haben“, sagt Irena Fonda. „Es war seine Vision, und sie wurde zu unserer. Wir haben 30 Jahre lang ihr gelebt, sie ist ein Teil von uns geworden.“