Was vor wenigen Jahrzehnten noch an actionlastige Science-Fiction-Filme erinnerte, wird langsam technologische Praxis – vorangetrieben von Europa: Die „Hera“-Mission der Raumfahrtagentur ESA hob jüngst mit einer SpaceX-Rakete vom Kennedy Space Centre in Florida Kurs zum erdnahen Doppelasteroiden Didymos/Dimorphos ab.

Ein ganz besonderer Doppelasteroid

„Hera“ ist auf dem Weg zu einem ganz besonderen unter den mehr als 1,3 Millionen bekannten Asteroiden in unserem Sonnensystem – dem bisher einzigen Körper, dessen Umlaufbahn durch menschliches Handeln bzw. absichtliche Kollision verändert wurde. Die Ankunft dort ist für Herbst 2026 vorgesehen, die Ergebnisse können helfen, die Erde künftig vor verheerenden Asteroideneinschlägen zu schützen. Der österreichische ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher nannte die „Hera“-Mission vorab „einen Schritt zur planetaren Verteidigung“.

„Hera“ sei so etwas wie ein „Artilleriebeobachter“, erklärt Gernot Grömer, Astrophysiker und Direktor des Österreichischen Weltraum Forums (ÖWF), im Interview: „Nach dem Einschlag der NASA-Raumsonde DART anno 2022 soll sie das getroffene Objekt im Detail begutachten. Im Einschlagskrater auf Dimorphos sollen Größe und Morphologie vermessen werden, um Aufschlüsse über das darunterliegende Material zu bekommen.“ Laut Michael Küppers, Hera-Projektwissenschaftler der ESA, sei die Messung der verbliebenen Masse das primäre Ziel. Der viele kleinere Körper Dimorphos umkreist dabei den gebirgsgroßen 65803 Didymos.

Zunächst wird „Hera“ sich den Asteroiden aus einiger Entfernung anschauen. Dann sollen die autark von der „Mutter“ operierenden Tochtersonden „Juventas“ und „Milani“ den Asteroiden aus nächster Nähe untersuchen und die Zusammensetzung der Himmelskörper erforschen. Ob eine Landung der Kleinsatelliten klappen könnte, ist noch offen: Da die Anziehung von Dimorphos – ein Gesteinsbrocken mit gerade einmal 153 Meter Durchmesser – sehr schwach ist, erwartet man, dass „Milani“ dabei mehrfach wieder „wegspringen“ könnte.

Es geht darum, den „Gegner“ – also Asteroiden, die unserem Planeten zu nahe kommen könnten – besser zu verstehen: „Asteroiden waren bisher, was deren Stabilität betrifft, eher wissenschaftliches Neuland – so war es überraschend, wie hart und kompakt etwa der Komet 67P/Churyumov-Gerasimenko war, als die Rosetta-Sonde den Philae-Lander absetzte. Das ist aber sehr wichtig für die Planung künftiger Missionen, um eines Tages auch Asteroiden abzuwehren, die einen katastrophalen Einschlag auf der Erde verursachen könnten“, sagt Grömer.

Gesamtkosten bei 383 Millionen Euro

Das in vier Jahren im Auftrag der ESA unter industrieller Ägide des deutschen Unternehmens OHB entwickelte „Hera“-System inkludiert verschiedene Kameras und laser- und radarbasierte Messsysteme. Gesamtkosten: 383 Millionen Euro. Auch Österreich fliegt mit: Unter den Institutionen und Unternehmen aus den 18 beteiligten ESA-Mitgliedsstaaten plus Japan ist auch das österreichische Weltraumunternehmen Beyond Gravity: Es lieferte Antriebselektronik für jene Mechanismen, die die Solarpaneele des „Hera“-Satelliten für die Stromversorgung optimal ausrichten.

Laut ESA-Boss Aschbacher weiß man derzeit von keinem Asteroiden, der in den kommenden drei Generationen eine tödliche Gefahr darstellen könnte. Wäre die Menschheit im Ernstfall aber bereits in der Lage, das Schlimmste abzuwenden? „‚Hera‘ ist ein wesentlicher europäischer Beitrag zur Asteroidenabwehr, allerdings sind wir technologisch noch weit davon entfernt, tatsächlich gefährliche Himmelskörper zuverlässig und wiederholbar auf einen neuen Kurs abzulenken. Dazu wäre zuerst eine umfassende Katalogisierung potenziell bedrohlicher Asteroiden nötig, die aber derzeit nur unzureichend finanziert ist“, betont Grömer. In zwei Jahren wird man mehr wissen.