Sie sehen aus, wie Wesen von einem anderen Planeten, sind extrem geschickte Jäger, hochintelligent und Einzelgänger – so zumindest der Ruf der Oktopusse. Doch Letzteres gilt in der Forschung schon länger als überholt. Und eine Studie, die letzte Woche im Magazin „Nature“ veröffentlicht wurde, schießt diesbezüglich überhaupt den Vogel ab – bzw. den Fisch.
Konkret geht es um den Großen Blauen Kraken (Octopus cyanea), der, wie es die Forschenden beobachten und dokumentieren konnten, in Verbänden mit verschiedenen Fischarten auf die Jagd geht. Speziesübergreifende Kooperationen an sich sind schon eine Besonderheit, doch in diesem Fall zeigt sich eine besondere soziale Dynamik. Auf zahlreichen Videoaufnahmen der Forschenden ist zu sehen, dass einzelne Oktopusse auch mal zuhauen: Wenn ein Fisch aus dem Jagdverband sich bei der Mission nicht nützlich macht und der Krake das sieht, gibt's einen Tentakel drübergezogen. Nach einem motivierenden Schulterklopfer, wie es so mancher Mensch vom Chef im Büro kennt, schaut das nicht aus. Laut den Forschenden tragen die Schläge dazu bei, dass die Fische nicht untätig werden und so weiterhin zur gemeinsamen Anstrengung beitragen. Es zeigte sich, dass jene Fische am meisten Schläge erhalten, die die Bemühungen der Gruppe am meisten ausnutzen, ohne sich selbst viel zu bewegen oder zum Auskundschaften beizutragen.
Die Beobachtungen erweitern das weit verbreitete Bild vom wandelbaren Versteckweltmeister, der als Einzelgänger und nahezu unsichtbar seiner Beute auflauert. Das ist zwar auch der Fall, dennoch dürften Oktopusse ein deutlich regeres Sozialleben haben, als bisher angenommen. „Ich denke, dass Sozialität (die Tendenz, Gemeinschaften und Gruppen zu bilden, Anm.) oder zumindest die Aufmerksamkeit für soziale Informationen viel tiefer im Stammbaum der Evolution verwurzelt ist, als wir vielleicht denken“, sagte Eduardo Sampaio vom Max-Planck-Institut für Tierverhalten und Hauptautor der Studie gegenüber NBC News. „In Bezug auf die Empfindungsfähigkeit sind sie uns sehr ähnlich oder näher als wir denken.“
In ihren Tauchgängen beobachteten die Wissenschaftler 13 Jagdgänge entsprechender Gruppen. Deren Größe variierte zwischen zwei und zehn Fischen pro Oktopus. Auch wenn der prügelnde Oktopus es vermuten lassen würde, kann man nicht von einer typischen Hierarchie sprechen, aber von verschiedenen Aufgaben. Die Fische sind zuständig für das Auskundschaften des Reviers und die Richtung, in die sich die Gruppe bewegt. Der Krake entscheidet darüber, ob und wann sich die Gruppe bewegt. Auch dazu nutzt er Schläge.
In der Studie heißt es dazu: „Dieses scheinbar unsoziale wirbellose Tier passt sich flexibel an heterospezifische Handlungen an und zeigt Merkmale sozialer Kompetenz und Kognition. Diese Erkenntnisse erweitern unser derzeitiges Verständnis von Führung und Sozialität.“
Die Beute wird übrigens nicht geteilt. Jeder frisst, was er im Rahmen der Gruppenjagd erbeutet. Dennoch zahlt sich die Teilnahme laut den Forschern für alle Beteiligten aus. Der Krake gelangt in Spalten, die für die Fische unerreichbar sind und schreckt die Beute dort auf, er selbst hingegen muss nur den Fischen folgen, um Beute zu finden. Damit erspart er sich die „spekulative Jagd“ bei der sich Kraken entlang eines Riffs bewegen und mit ihren Tentakeln nach versteckter Beute suchen, indem sie entweder in Spalten stochern oder Korallen vollständig umhüllen.
Derzeit noch unklar ist, ob das Verhalten der Oktopusse angeboren oder erlernt ist. Sampiro hält erlerntes Verhalten für wahrscheinlicher, da jüngere Oktopusse sich schwerer tun, mit anderen Spezies zu kooperieren.