Stonehenge verblüfft weiter: In diesem Sommer hat der weltberühmte Steinkreis im Südwesten Englands, zum Erstaunen der Forscher, ein neues Geheimnis preisgegeben: Einer seiner mächtigen Steine, der sogenannte Altarstein, stammt weder aus der englischen Nachbarschaft der neolithischen Stätte noch aus Wales, in das man viele der markanten Steine zurückverfolgt hat.
Tatsächlich scheint der fünf Meter lange und sechs Tonnen schwere Altarstein vor rund 4500 Jahren 750 Kilometer weit nach Stonehenge transportiert worden zu sein: Und zwar aus dem Orkadischen Becken im hohen Norden Schottlands, zwischen den Orkney Islands und Loch Ness. Bisher war man davon ausgegangen, dass der Megalith entweder wie die größten Steine der Anlage aus einem Nachbarbezirk in der englischen Grafschaft Wiltshire oder wie die etwas kleineren „Bluestones“ aus den Preseli-Hügeln im Westen von Wales herbeigeschafft worden war.
So kann man sich täuschen!
Neue wissenschaftliche Methoden führten aber schon voriges Jahr zu ersten Vermutungen, dass der Altarstein aus einer ganz anderen Ecke der Britischen Inseln stammte. Dieses „wirklich schockierende Forschungsergebnis“, dass der Stein aus Nordschottland kam, bestätigte jetzt Archäologe Robert Ixer vom University College London im Namen des damit befassten Forschungsteams.
Zusammen mit australischen Kollegen hatten britische Wissenschaftler mithilfe modernster Bergbau-Technologie die Kristalle der Felsenplatte und insbesondere Spuren von Uran in diesen Kristallen unter die Lupe genommen. Und der „geologische Fingerabdruck“ des Altarsteins führte sie zum Schluss, dass dieser „mit 95-prozentiger Sicherheit“ aus dem Orkadischen Becken stammt.
„Damit stellen sich uns zwei wichtige Fragen“, meint dazu Robert Ixer. Nämlich warum ausgerechnet ein Stein aus den schottischen Highlands auf eine so weite Reise gehen sollte damals. Und vor allem: Wie man ihn, in der Jungsteinzeit, nach Stonehenge transportiert hatte.
Den Sechs-Tonnen-Stein aber mindestens 750 Kilometer weit durch Gestrüpp und dichte Wälder, über Berge und Sümpfe nach Süden zu schleppen, wäre für die damalige Zeit „extrem schwierig“ gewesen, glaubt Professor Chris Kirkland von der Curtin-Universität im australischen Perth. Wahrscheinlicher sei, dass die Felsplatte auf einem Floß befördert wurde: Dass es also schon damals „eine Schifffahrtsroute entlang der Küste Britanniens“ gab.
Große Distanzen
Das wiederum, meint Kirkland, eröffne der Wissenschaft einen ganz neuen Blick aufs neolithische Zeitalter: „Das würde bedeuten, dass es Handelsnetzwerke über große Distanzen gab – und einen höheren Grad an gesellschaftlicher Organisation, als wir bisher annahmen.“
Auf einer womöglich jahrelangen Reise in den Süden wäre der Stein ja vielleicht schon unterwegs zu einem Objekt wachsender Bewunderung geworden. Auf jeden Fall mache die Sache deutlich, dass Stonehenge schon weit über Südengland hinaus bekannt gewesen sei.
Mit Erleichterung reagiert haben Stonehenge-Fans, Umweltschützer und viele Archäologen unterdessen auf die Entscheidung der neuen britischen Labour-Regierung, einen seit Jahren heiß umstrittenen vierspurigen Autotunnel „auf Eis zu legen“, der 200 Meter von der neolithischen Kultstätte entfernt, also in ihrer direkten Umgebung, gebaut werden sollte. Nach Ansicht der Planer würde ein solcher Tunnel den „lauten und störenden Verkehr“ unter die Erde verbannen und den Durchgangsverkehr beschleunigen, der vor allem zur Ferienzeit dort gern ins Stocken kommt.
Gegner des Tunnels wehrten sich gegen das Zwei-Milliarden-Pfund-Projekt – weil es ihrer Ansicht nach keinerlei Verkehrsprobleme löst, sondern nur das an Funden reiche Stonehenge-Gelände „zerwühlt“ und schwere Umweltschäden anrichtet. Das fehlende Geld in den Staatskassen kommt ihnen entgegen.