Wie ist es, in eine Welt geboren zu werden, die mit jeder Zelle gegen einen zu sein scheint? Talli Osborne kann nicht nur ein Lied davon singen, sondern hält als Motivationscoach ganze Vorträge darüber. Die Kanadierin kam nämlich kleinwüchsig – ohne Oberschenkel und Knie – sowie ohne Arme oberhalb der Ellbogen auf die Welt.
Das ist mittlerweile 44 Jahre her. 44 Jahre, in denen Osborne viele Hindernisse überwinden musste. Ganz besonders hoch – im übertragenen Sinne – wurden diese, als sie sich ihren großen Traum erfüllen wollte: selbst ein Auto zu fahren.
Ausstattung, Führerschein, Fahrtauglichkeit, Sicherheit – all das waren Aspekte, die ihr dieses Vorhaben auf unterschiedliche Art und Weise erschwerten und in die Länge zogen. 2017 konkretisierte sie die Pläne, sieben Jahre später präsentiert sie auf Instagram stolz das Ergebnis: Osborne steuert mit speziellen Modifikationen einen pinken Mini Cooper.
„Wenn du etwas wirklich erreichen willst, kannst du es schaffen, egal wie hoch die Hürde ist“, richtete sie stolz ihren knapp 37.000 Followern aus.
Autoverkauf war für Talli Osborne keine Option
Ihren beschwerlichen Weg zur Fahrerlaubnis schilderte sie gegenüber dem kanadischen Medium „CBC“. Dieser begann mit einer 1000 US-Dollar teuren Behandlung bei einem Ergotherapeuten. Osborne sah eine realistische Chance und kaufte sich einen gebrauchten Mini Cooper. Bei der Sichtung des Kostenvoranschlags vom Autohändler für die notwendigen Modifizierungen hätte sie dann allerdings „fast gekotzt“, wie sie zugeben musste. 100.000 US-Dollar wurden veranschlagt, der Traum rückte in weite Ferne.
Mit Zuschüssen und Spendenaktionen versuchte sie, finanzielle Mittel aufzustellen. Dies gelang auch, ehe der Geldhahn durch die Corona-Pandemie zugedreht wurde. Ihre Adoptivmutter schlug ihr in dieser Zeit sogar vor, das Auto wieder herzugeben. „Wenn ich dieses Auto verkaufe, gebe ich diesen Traum buchstäblich auf“, dachte sich Osborne damals. Deshalb behielt sie den pinken Mini Cooper, zahlte die Autoversicherung weiter und hoffte auf erneute finanzielle Unterstützung. Und tatsächlich, eines Tages kontaktierte sie ein Verantwortlicher des „War Amps‘ Child Amputee“-Programms und verkündete, dass der Restbetrag für sie übernommen wird. „Ich habe fast geweint“, schilderte Osborne diesen Moment.
Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer? - Osborne kontert
Osborne war nicht die einzige Person, die durch ihren Führerscheinwunsch vor eine Herausforderung gestellt wurde. Auch Tom Lancaster und sein Mechaniker-Team von „Courtland Mobility“ in Burlington (Ontario) mussten tief in die Trickkiste greifen, um den Mini Cooper an Osbornes Bedürfnisse anzupassen. Es war eine „einmalige Situation“, musste er zugeben.
Zwei der wichtigsten Spezialanfertigungen waren das kleine Lenkrad links an der Tür, das optisch an ein Zahnrad erinnert, und der Touchscreen links unter dem eigentlichen Lenkrad, auf dem Osborne unter anderem schalten und blinken kann. Außerdem wurde ein Sicherheitsgurt installiert, den sie selbst anlegen kann.
Zu den vielen positiven Rückmeldungen auf Instagram gesellten sich auch einige kritische Kommentare, in denen der Kanadierin vorgeworfen wird, eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer darzustellen. „Es macht mich traurig, dass sie mich sehen und dieses erstaunliche Video sehen, und es das ist, auf das sie ihre Aufmerksamkeit richten“, sagte sie und konterte, dass es für sie eine Million Mal schwieriger gewesen sei, den Führerschein überhaupt zu machen, „also werde ich eine Million Mal besser fahren.“
Auf den Straßen einer Welt, die, wie Osborne auf ihrer Website schreibt, vielleicht doch immer schon auf ihrer Seite war.