Dass die jüngsten Anschlagspläne in Wien gerade Konzerte der US-Sängerin Taylor Swift zum Ziel hatten, ist für Kulturwissenschaftler wenig überraschend. „Ihre popfeministische Resonanz“ sei für Anhänger der radikalislamischen Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) „besonders ärgerlich“, sagte die deutsche Forscherin Katja Kauer. Gerade die populäre Musik sei das Spielfeld für manifeste Machtkämpfe, meinte der Grazer Popularmusikforscher André Doehring zur APA.

Die US-Sängerin sei eine zentrale Vertreterin des Popfeminismus, also quasi des heutigen Mainstream-Feminismus, sagte Kauer. Die „Persona“ Swift zeige Menschen aller Altersgruppen und besonders Mädchen Ideen von weiblicher Existenz auf, „die zwar mit Spaßkultur und Kapitalismus verstrickt sind und damit nicht für die absolute Befreiung der Frau stehen, aber die Perspektiven eröffnen“, so die Wissenschaftlerin, die zurzeit an der Universität Tübingen im Bereich der Gender Studies tätig ist. Aus der popfeministischen Blickrichtung sei es damit auch klar, dass Frauen wie Swift und ihre Fangemeinde Anhängern mit extremistischer Haltung ein Dorn im Auge sind, „also jenen Personen, die sich davor fürchten, dass sich Frauen emphatisch mit anderen Frauen identifizieren und miteinander Spaß haben.“

Konzertabsage nehme Republikanern Wind aus den Segeln

Dabei sei Popfeminismus kein ganz junges Phänomen, schon Persönlichkeiten wie etwa Madonna seien den Weg gegangen und „haben für Teenagerfrauen den Weg denkbar gemacht, sich auch von den Ängsten vor Feminismus zu befreien und entsprechend frei zu leben“, sagte Kauer zur APA. Auch wenn man bei der popfeministischen Welle vorsichtig sein müsse, wie tief dann tatsächlich Feminismus gehe, habe diese Welle viel für weibliche Selbstentwürfe getan. Taylor Swift, „eine große homosoziale Identifikationsfigur“, stehe für den „American way of life“ und Lebensfreude, was ein homosozial männlich geprägtes System konterkariere und als „gehasstes Gender“ provoziere.

Für Kauer eröffnet die Konzertabsage aber auch noch eine andere Dimension: Swift, die sich im US-Wahlkampf bereits gegen den Republikaner Donald Trump ausgesprochen hat, habe diesem nun eigentlich ein kleines Dilemma beschert. Die von Trump despektierlich als „woke“ bezeichnete Sängerin habe nun immerhin Konzerte abgesagt und damit auch finanzielle Einbußen hingenommen und das Sorgen für ihre Fans und die Sicherheit über alles gestellt. Die Absage verkörpere, dass die Sängerin die Rolle des sich sorgenden „All American Girl“ gut annehme und ihre weibliche Geschlechtsrolle „richtig“ verkörpere. Das nehme den Republikanern jetzt den Wind aus den Segeln.

Gerade Popmusik erlaube uns, Verbindungen zu knüpfen

Für Doehring von der Kunstuniversität Graz ist es gerade die Musik, die als Feld für „symbolische wie auch manifeste Machtkämpfe“ dienen kann: „Taylor Swift ist heute eine zentrale popkulturelle Ikone, die den verschiedensten Bereichen, etwa auch dem Tourismus, mediale Aufmerksamkeit beschert – so natürlich auch Terroristen“, sagte der Professor für Jazz- und Popularmusikforschung. Er habe sich gefragt, warum es jetzt ein Swift-Konzert gewesen sei und etwa nicht die Olympischen Spiele, wo die mediale Aufmerksamkeit so viel höher wäre. Aber: „Musik kann etwas anderes als Sport.“

Gerade Popmusik erlaube uns – „aufgrund ihrer Beschaffenheit, die uns Vergnügen vermittelt, zu der wir tanzen, die wir mit in den Alltag nehmen, anlässlich der wir Freundschaftsarmbänder basteln etc.“ –, Verbindungen zu knüpfen, wie es andere kulturelle Praktiken weniger erlauben. „Swift spricht zudem Menschen an, die gesellschaftlich nicht in einer Machtposition stehen, also z. B. junge Menschen, queere Menschen, ethnische Minderheiten. Diese identifizieren sich mit Taylor Swift, diese Identifikation nimmt man mit in sein Leben – wenn auch oft nur temporär“, so Doehring. „Populäre Musik erlaubt zu suchen, wer ich sein will. Aber sie verleitet auch, zu denken, dass dann alle gleich sind – das ist auch ein häufiges Missverständnis, auch der Terroristen.“

Taylor Swift schweigt weiterhin

Swift greife etablierte Ordnungen an, ökonomische Besitzverhältnisse, Ideen darüber, wie bisher in Partnerschaft heteronom gelebt wurde. Damit sei ihre Musik, vor allem auch aufgrund ihrer Popularität, ein Feld der Auseinandersetzung.

„Es gibt eine historische Komponente von musikbasierten Anfeindungen, Übergriffen bis hin zu Attentaten“, so Doehring. Der Wissenschafter bezieht sich damit etwa auf die öffentliche Zerstörung von Platten durch die Disco-Sucks-Bewegung 1979, „getragen durch eine LGBT-feindliche weiße Rockhörerschaft“, den Bombenangriff auf den Black Music-Club La Belle in Berlin 1986, „der von GIs und ethnischen Minderheiten besucht wurde“, das Attentat auf das Pariser Bataclan 2015 oder auf das Pulse in Orlando 2016, „ein bekannter ‚safe space‘ homosexueller Menschen“. Insbesondere populäre (Tanz-)Musik erlaube vielen Menschen, Identitäten zu erspüren, auszutesten – „was offensichtlich in allen Fällen als Bedrohung alter Ordnungen empfunden wurde“, so der Experte, und zur – bis auf 1979 stets – tödlichen Reaktion herausforderte.

Wer sich – anders als die Experten – auch am Freitagnachmittag noch nicht offiziell zur Causa prima geäußert hatte, war indes Taylor Swift zur Absage. Der ansonsten für seine offensive Social-Media-Kommunikation gerühmte Star schweigt bis dato beharrlich zur Absage der drei Wien-Konzerte.