Die Chinesen sind Weltmeister im Kopieren. Hallstatt steht nachgebaut in Guangdong, der Eiffelturm auch in Chongqing, Venedig findet sich gleich in mehreren Einkaufspalästen wieder und in Qingdao – eine chinesische Metropole mit knapp neun Millionen Einwohnern – zelebrieren die Asiaten mitten im Sommer mehrere Wochen lang das größte Oktoberfest Asiens.

Eine eigene „Beer City“ direkt am Gelben Meer ist das pulsierende Epizentrum asiatischer Biertrinker. Die Festzelte sind gebrandet mit europäischen Biermarken und schauen fast genauso aus wie auf der Münchner Wiesn – nur halt bunt beleuchtet, mit kitschigen Lichterketten und unzähligen chinesischen Schriftzeichen. Und die vielen hölzernen Fachwerkhäuser könnten auch in Bayern stehen. Denn die kopierte Optik ist ein Magnet für die Menschenmassen, die jeden Abend wie Ameisenhorden die am Gelben Meer gelegene „Beer City“ erobern. „Am Abend stehe ich oft eine halbe Stunde im Stau, ehe ich meine Gäste absetzen kann“, erzählt Taxifahrer Luan mithilfe seines Mobiltelefons sein Leid. Für die fast fünf Kilometer lange Fahrt vom Hotel zum Festgelände verrechnet er stolze 3 Euro.

Bier in 1,5 bis fünf Liter großen Töpfen

Den Duft von knusprigen Schweinestelzen und Brathendln, der in München auf der Wiesn so angenehm in die Nasen weht, sucht man in China allerdings vergebens. Hier ist Fischhallen-Aroma angesagt. In den Zelten türmen sich Krebs-, Garnelen- und Muschelberge. Der Fisch ertrinkt im scharfen Chili-Öl und den Hasenbraten gibt es entweder scharf mit Chili oder süßsauer. Auf der Holzkohle brutzeln chinesische Bratwurst-Kopien – ziemlich undefinierbar im Geschmack, aber immerhin ein bisschen Europa lässt sich am Gaumen schon erkennen.

Video: Oktoberfest in Qingdao

Bier wird hier nicht in Maßkrügen ausgeschenkt, sondern in mindestens 1,5 Liter kleinen und manchmal fünf Liter großen Töpfen. An den Tischen üben sich die Chinesen dann wie beim Sangria-Eimersaufen am Ballermann im Strohhalm-Bier-Trinken. Jeder am Tisch bedient sich am großen Topf. Wobei, Chapeau, das den Chinesen sogar zum Vorteil gereicht. Denn nachdem die Chinesen gerne Essen und Getränke teilen, ist ein Fünf-Liter-Eimer-Bier schneller weg als eine Maß in München – und das Bier damit insgesamt frischer und kühler. In den meisten Zelten bekommt man wie im All-Inklusiv-Club ein Armbändchen umgebunden und kann dann für umgerechnet etwa 13 Euro nach Herzenslust Fisch und Bier genießen. In München kostet eine Maß schon mehr.

Deutsche brachten Bier nach Qingdao

Die Bierkultur haben übrigens die Deutschen nach Qingdao gebracht. 1897 enterte die deutsche Kriegsmarine ein kleines Lehmhütten-Fischerdorf und Kaiser Wilhelm regierte bis 1914 in der deutschen Kolonie. Man baute einen Bahnhof, eine evangelische Kirche und eine Brauerei. „Tsingtao“-Bier, 1903 von deutschen Siedlern gegründet, hat heute fast 50.000 Mitarbeiter, braut an 60 Standorten über 80 Millionen Hektoliter Bier, exportiert es in mehr als 100 Länder der Welt – und ist am größten Oktoberfest Asiens natürlich mit gleich mehreren Zelten vertreten.

Die Chinesen lieben Kitsch und dem armen Karl Lagerfeld, Gott hab ihn selig, würde es glatt die dunkle Sonnenbrille verschlagen, so sehr würde das chinesische Plastik-Design seinen Augen wehtun. In einem Zelt hält der knallrote Krebs ein Bierglas in seiner Schere und lächelt zufrieden, anderswo bestäuben eine Plastik-„Biene-Maja“ und ein Plastik-„Fauler-Willi“ übergroße Plastikblumen. Den Eingang zum großen Festgelände zieren grüne Kunststoff-Bierfässer, menschengroße Stein-Bierkrüge und überdimensionale Plastikrosen. Den Chinesen gefällt’s.

Europäer sind hier auf dem größten Oktoberfest Asiens ohnedies so selten wie die Blaue Mauritius bei den Briefmarkensammlern. Englisch? Fehlanzeige. Englisch spricht hier in Qingdao kein Taxifahrer, kein Kellner und kein Security-Mitarbeiter. Wozu auch, die Chinesen sind unter sich. Und wenn doch einmal ein armer Europäer um Informationen bittet, hilft der Handy-Translator. Der Chinese spricht ins Handy, der Europäer liest den englischen Text, antwortet auf Englisch und der Chinese studiert die übersetzten Schriftzeichen. So kann man noch etwas über regionale Spezialitäten wie geschmorte Hühnerkrallen, Elefantenrüssel-Muscheln oder geräucherte Seegurken erfahren. „Wenn man die Seegurken zwei, drei Tage in Milch einlegt, werden sie weicher und zarter. Wir essen sie dann dünn geschnitten und in Öl frittiert, gesalzen und geräuchert oder als Suppeneinlage. Sie schmecken einfach köstlich“, zergehen Kellner Han die Seegurken schon beim begeisterten Erzählen auf der Zunge.

Culture Clash pur, aber lustig ist die Reise zum größten Oktoberfest Asiens allemal.