Wenige Tage vor der Eröffnung der Olympischen Spiele ist Paris im Ausnahmezustand - und dabei erstaunlich gelassen. Das liegt auch daran, dass deutlich weniger Touristen als sonst in der Stadt flanieren. Und dass viele Pariserinnen und Pariser aufs Land geflüchtet sind. Denen, die geblieben sind, wird das Leben jedoch nicht einfach gemacht. Geschlossene Metrostationen und weiträumige Straßensperren machen das Queren der Stadt zu einem Spießrutenlauf. Auch die Touristen sind frustriert ob horrender Hotelpreise und massiver Zugangsbeschränkungen.

Verwirrung bei Ordnungshütern

Kilometerlange Metallzäune und unzählige Polizisten prägen das Stadtbild in den Innenstadtbezirken mit jenen Sehenswürdigkeiten, für die Touristen aus aller Welt nach Paris kommen. Die Organisatoren wollten nicht nur den Sport mitten in die Stadt bringen, sondern auch eine noch nie da gewesene Eröffnungszeremonie bieten. Der Preis dafür: Seit Tagen sind die Quais entlang der Seine sowie die meisten Brücken über den Fluss gesperrt. An den Kontrollposten werden nur jene vorbeigelassen, die sich mit einem QR-Code als Anrainer oder in irgendeiner Funktion für die Spiele Tätige ausweisen können.

Die Ordnungshüter sind freundlich, aber bestimmt. Und nicht immer ausreichend informiert. So kann es einem passieren, dass man zu einer Metrostation, die man bereits in Sichtweite hat und auf die eine große Hinweistafel unzweideutig verweist, großflächig umgeleitet wird - um am Ende feststellen zu müssen, dass sie doch gesperrt ist. Jedenfalls bis kurz nach dem 26. Juli. Wenige Tage nach der Eröffnung sollen diese Sperren wieder aufgehoben werden. Jene rund um das Grand Palais, die Place de la Concorde, den Pont Alexandre III, die Esplanade des Invalides, das Champ de Mars oder den Eiffelturm bleiben jedoch. An diesen weltberühmten Sehenswürdigkeiten sind temporäre Sportstätten aufgebaut. In ihre Nähe kommt man nur mit Akkreditierung oder Ticket.

Es herrscht Flaute

Zum Sightseeing muss diesen Sommer niemand nach Paris. Macht auch kaum jemand. Im Marais herrscht Flaute. Die pittoreske Place des Vosges ist so menschenleer wie zuletzt wohl nur zu Zeiten der Corona-Pandemie. Kein Wunder, dass Einzelhändler und Bistro-Betreiber schon im Vorfeld als Verlierer der olympischen Wettkämpfe gehandelt wurden - neben den Bouquinisten, den Buchhändlern, die ihre Verkaufsstände entlang der Seine zusperren mussten, und den Clochards, von denen laut dem Kollektiv „Le Revers de la médaille“ (Die Kehrseite der Medaille) viele in Form einer „sozialen Säuberung“ in die Provinz verfrachten worden sein sollen.

Auch der rund 50-jährige Mopedfahrer, der neben dem Hôtel de Ville, dem Pariser Rathaus, dessen Vorplatz für die Dauer der Spiele in eine große Fan- und Spielzone verwandelt wurde, vor einer roten Ampel warten muss, fühlt sich als Verlierer. Diese vielen Absperrungen seien ein Irrwitz, wegen diesem „Drecks-Olympia“ verdiene er in diesem Monat 1.400 Euro weniger, schimpft er laut und gibt Gas, noch ehe er dem Reporter seinen Beruf verraten kann. Solche Wutausbrüche sind jedoch die Minderheit. Der Großteil der Stadtbewohner, die an diesem Vormittag unterwegs sind, ist ausgesprochen gelassen - und meist mit dem Fahrrad unterwegs. Paris scheint sich verwandelt zu haben. Die Rue de Rivoli, früher eine Verkehrshölle, wird heute vom Radverkehr dominiert.

Grünere Hauptstadt

Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat die Metropole in den vergangenen Jahren tatsächlich stark verändert, nachhaltiger, grüner und deutlich autofreier gemacht. Vor wenigen Tagen hat sie auch ihr Versprechen eingelöst und ist in die Seine gesprungen. Dass die Wasserqualität des Flusses, in dem man seit 1923 nicht mehr schwimmen durfte, um 1,4 Milliarden Euro verbessert wurde, damit hier nicht nur Schwimmer und Triathleten, sondern künftig auch die Einwohner baden gehen können, hat ihr viel Kritik eingetragen.

Doch nicht nur hier wurden die Olympischen Spiele Anlass für ein Zukunftsprojekt: Wenige Kilometer flussabwärts ist entlang der Seine aus einer Industriebrache das Olympische Dorf entstanden, das in der Nachnutzung die im Norden angrenzende Stadt Saint-Denis und ihre Problemviertel entscheidend aufwerten soll. Während in dem derzeit noch streng von der Umgebung getrennten Athleten-Areal Gratis-Räder und E-Rikschas den Verkehr dominieren, ist vor den Eingängen jedoch der motorisierte Verkehr dominant wie eh und je. Um zu dem wenige Gehminuten entfernten Stade de France und dem vis-a-vis gelegenen neuen Wassersportzentrum zu gelangen, muss man an Betonbrücken, unzähligen Bahngleisen und mehrspurigen Schnellstraßen vorbei. Kaum jemand geht hier zu Fuß. Doch auch hier stimmt das Bild - allerdings wortwörtlich und nicht nur metaphorisch: Die „Paris 2024“-Fahrspur ist die Überholspur.