Die neue europäische Trägerrakete Ariane 6 ist erstmals ins All gestartet. Die Rakete hob gegen 21.00 Uhr (MESZ) vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guayana ab. Nach zehn Jahren des Wartens soll sie Europas Raumfahrt aus der Krise ihres Trägerraketensektors befreien. Die Ariane 6 ist das Nachfolgemodell der Ariane 5, die von 1996 bis Sommer 2023 im Einsatz war.
Der gesamte Flug der 56 Meter hohen und 540 Tonnen schweren Rakete war auf knapp drei Stunden angesetzt. Bereits kurz nach dem Abheben, als die Ablösung der Booster verkündet wurde, brach auf den Terrassen am europäischen Weltraumbahnhof Jubel und Applaus aus. Bei jedem weiteren Meilenstein, den die Rakete erfolgreich absolvierte, erfüllten Freude und Erleichterung den Weltraumbahnhof.
„Die Ariane 6 wird Europas unabhängigen Zugang zum Weltraum weiterhin sichern“, heißt es recht nüchtern auf der Website der Ariane Group. Der Weg zum für den 9. Juli geplanten Start vom europäischen Weltraumbahnhof in Französisch-Guyana war freilich einer gespickt mit Rückschlägen und Verzögerungen.
Verzögert seit Ende 2020
Bereits Ende 2020 hätte die neue Schwerlastrakete der Europäischen Raumfahrtorganisation (ESA) abheben sollen – nicht zuletzt auch Corona machte dem multinationalen Unterfangen einen Strich durch die Rechnung. Für die ESA steht viel am Spiel, zeichnet sie doch für das gesamte Trägersystem und die Überwachung des Beschaffungsprozesses verantwortlich.
Eine neue Schwerlastrakete war unerlässlich, denn der letzte Start der Vorgängerin Ariane 5 ist heute auf den Tag genau ein Jahr her – und seitdem gab es für Europa keinen Weg mehr, mit eigenen Mitteln Satelliten in den Orbit zu bringen. Die Ariane 6 markiert laut ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher „eine neue Ära der autonomen, vielseitigen europäischen Raumfahrt.“ Sie solle den Weg in die Zukunft weisen, sagt der Österreicher: „Sie ist Europas Rakete für die Bedürfnisse von heute, anpassungsfähig an unsere zukünftigen Ambitionen.“ Beim Startdienstleister Arianespace betont man außerdem mit Stolz: „Mit 30 Missionen in unserem Auftragsbuch hat die Ariane 6 bereits das Vertrauen institutioneller und kommerzieller Kunden gewonnen.“
Auch Österreich beim Bau vertreten
13 europäische Länder, darunter auch Österreich, waren in das Großprojekt involviert – und somit hob auch einiges an rot-weiß-roter Technologie ab: Beyond Gravity Austria, größter Weltraumzulieferer des Landes, liefert die Hochtemperatur-Thermalisolation für Raketenantriebe des neuen Systems und einen Steuermechanismus für die Raketenoberstufe. An der Entwicklung des Datennetzwerks von Ariane 6 war das Wiener Hightech-Unternehmen TTTech beteiligt, das ebenso Komponenten für die Bordelektronik geliefert hat. Die Chips des Unternehmens ermöglichen es, Navigations- und Steuerungsdaten sowie Überwachungs- oder Videodaten zu übertragen.
Laut der Forschungsförderungsgesellschaft FFG gegenüber der APA fällt mit jeder produzierten Ariane 6 ein Umsatz für die österreichischen Firmen von etwa 500.000 Euro an. Bei 30 bisher verkauften Starts bedeute dies ein Gesamtvolumen von 15 Millionen Euro, was die österreichischen Ausgaben für die Trägerrakete, die mit etwa 12 Mio. Euro beziffert wurden und vom Klimaministerium über die ESA für die Firmen bereitgestellt wurden, bereits übertreffe.
Die gut 60 Meter hohe Ariane 6 soll ein Arbeitstier werden: Noch bis Ende des heurigen Jahres soll der zweite Launch über die Startrampe gehen, gefolgt von einem „stetigen Anstieg auf rund zehn Starts pro Jahr“, sobald man sinnbildlich „die Reisegeschwindigkeit erreicht hat“. Die Konkurrenz auf der anderen Seite des Ozeans wurde mächtig: Die mit Abstand meisten kommerziellen Starts absolvierten zuletzt die mächtigen Falcon-Raketen von SpaceX.
Der Wettbewerbsdruck ist auch in der kommerziellen Raumfahrt hoch geworden. Die Ariane 6 soll flexibler, billiger und konkurrenzfähiger als ihre Vorgänger sein. Mit der Preisgestaltung des von der US-Regierung massiv unterstützten privaten Raumfahrtkonzerns von Elon Musk könne man aber trotzdem nicht mithalten, gab auch Ariane-Deutschland-Chef Pierre Godart gegenüber der „Wirtschaftswoche“ zu Protokoll. Das ist nur ein Indiz dafür, dass sich im Raumfahrtsektor im Laufe der letzten Jahrzehnte Grundlegendes verändert hat. Außerdem setzt SpaceX für seine Trägerraketen wiederverwendbare Komponenten ein – die ESA plant solche Bauteile indes erst beim Nachfolger der Einwegrakete Ariane 6, und das nicht vor Mitte der 2030er-Jahre.
Nutzlasten bis zu 21 Tonnen
Die Leistungsdaten der Ariane 6 sind jedenfalls beeindruckend. Zwei Hauptvarianten sind vorgesehen – die Ariane 62 arbeitet mit zwei Feststoffboostern als Antrieb, die leistungsstärkere Ariane 64 mit vier Boostern für schwerere Nutzlasten. Nutzlasten bis zu 21 Tonnen sind „drinnen“, insgesamt wiegt der Koloss 900 Tonnen. Die Entwicklungskosten sollen insgesamt bei etwa 3,8 Milliarden Euro liegen, beinahe eine Milliarde Euro mehr als ursprünglich eingeplant. Die Startkosten für Ariane 62 werden mit 70 Millionen Euro, für die Ariane 64 mit 115 Millionen Euro beziffert.
Maximale Nervosität könnte bei der ESA am kommenden Dienstag übrigens über Stunden herrschen: Für den Jungfernflug des Prestigeprojekts gibt es ein 180-minütiges-Startfenster.
Nicht alles verlief nach Plan
Ganz nach Plan verlief bei dem Jungfernflug aber nicht alles. Nach der erfolgreichen Startphase folgte eine technische Demonstrationsphase. In dieser zündete ein Hilfsantrieb in der Oberstufe zwar zunächst, stoppte dann aber, wie der Chef des Raketenbauers ArianeGroup, Martin Sion, erklärte. Warum, wisse man noch nicht
.Sion sagte zu dem Vorfall: „Das ist bedauerlich, aber das ist auch der Grund, weshalb wir eine technische Demonstration vornehmen, weil es Dinge gibt, die wir nicht am Boden testen können.“ Mit der Testphase am Ende des Erstflugs habe man so viele Informationen wie möglich sammeln wollen. Man habe schauen wollen, wie sich die Oberstufe der Rakete in sogenannter Mikrogravitation verhält, einem Zustand, in dem die Gravitationskraft nicht oder extrem schwach wirkt.