Erde in anhaltendem Aufruhr: Was Vulkanausbrüche betrifft, ist die isländische Bevölkerung wahrlich einiges gewohnt – ohne Vulkane gäbe es diese Insel im fernen Nordatlantik nicht. Die Serie an Eruptionen, die 2021 auf der Reykjanes-Halbinsel im Südwesten der Insel, unweit der Hauptstadt Reykjavik begann und anhält, ist allerdings ein eigenes Kaliber mit durchaus beunruhigenden Prognosen.
Jüngst musste die blaue Lagune, ein bei Touristen äußerst beliebtes Thermalfreibad im Südwesten Islands, gesperrt werden, wie Vulkanologe Jón Fríman im Interview bestätigt: „Bei Ausbrüchen wie diesen besteht stets die Gefahr, dass Lava über die Straßen fließt.“ Die Eruption, die am 29. Mai begann, endete laut Islands staatlichem Wetterdienst am 22. Juni: Das entstandene Lavafeld ist volumen- und flächenmäßig das bislang größte in einer Serie.
Seit 18. Dezember 2023 gab es fünf größere Vulkanausbrüche, Lava quoll dabei mit Wucht aus Längsrissen in Form von Spalteneruptionen aus der Erde. Ein Grabenbruch an der Sundhnúkur-Kraterkette im Svartsengi-Vulkangebiet verwüstete den Fischerort Grindavík. Bei Svartsengi werde ein Schutzdamm aufgestockt, neu austretende Lava fortlaufend mit Drohnen dreidimensional vermessen und daraus ein Lavastrommodell erstellt, so Fríman.
800 Jahre lang hat es in dem Gebiet keine größeren Eruptionen gegeben – das änderte sich 2021: Besonders kritisch ist die Entwicklung auch, weil in dem betroffenen, touristisch sehr wichtigen Gebiet ein Großteil der isländischen Bevölkerung lebt und in Keflavík der einzige internationale Flughafen liegt. Außerdem sind dort mehrere Geothermiekraftwerke positioniert. „Ich erwarte weitere Ausbrüche“, sagt Fríman, es bestehe aber auch die Möglichkeit, dass der Eruptionszyklus unterbrochen werde und das Vulkansystem Svartsengi neuen „Schwung“ aufnehme. Auch der Tafelvulkan Fagradalsfjall, ebenfalls auf der Reykjanes-Halbinsel, ist in einer nach wie vor anhaltenden Unruhephase.
Ein Forscherteam, das Erdbebendaten der vergangenen drei Jahre auswertete und Lavaproben von mehreren Stellen untersuchte, geht von einem zusammenhängenden unterirdischen Magmasystem in etwa neun bis elf Kilometern Tiefe aus, das sein „Pulver“ noch lange nicht verschossen hat. Das riesige Reservoir unter dem Berg Fagradalsfjall erstreckt sich über zehn Kilometer Länge, geben die Wissenschaftler im Fachmagazin „Terra Nova“ einen Eindruck von den Dimensionen.
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Ein Magmafeld speiste alle Ausbrüche
Das Magmafeld ist gemeinsame Quelle für alle Ausbrüche seit 2021, wie die ähnliche Zusammensetzung der Gesteinsproben belegt. Die gegenwärtige Ausbruchsserie könnte erst der Auftakt für eine überaus langfristige Vulkanaktivität sein. „Ein Vergleich dieser Ausbrüche mit historischen Ereignissen liefert starke Beweise dafür, dass Island sich darauf vorbereiten muss, dass diese vulkanische Episode noch einige Zeit, möglicherweise sogar Jahre oder Jahrzehnte, andauern wird“, wagt Studienleiter Valentin Troll von der Universität Uppsala in Schweden eine Prognose. Sogar von einer möglichen geologischen Zeitenwende ist die Rede.
Dass Island so viele Vulkane und Erdbeben erlebt, hat seinen Grund: Zwei tektonische Erdplatten – die Nordamerikanische und die Eurasische – driften aneinander, der Mittelatlantische Rücken durchzieht die feurig-eisige Insel als „Naht“.