Aus Thailand wird zuletzt immer wieder eine Geschichte erzählt: Da trauert eine Person um ihren verloren gegangenen Angehörigen. Oft sind die Verstorbenen Männer, die nur kurz auf den von der Familie beackerten Feldern unterwegs gewesen waren, dann aber nicht mehr zurückkehrten. Die Hinterbliebenen erzählen dann ratlos davon, wie sie nun nur noch sich selbst schützen könnten. Denn verantwortlich für den Tod ist je ein oft drei Meter hohes Säugetier, mit dem sie kaum verhandeln könnten: Ein Elefant.
Das südostasiatische 72-Millionen-Land hat mit vielen Konflikten zu kämpfen: Da ist der ewige Kampf um die politische Macht zwischen Reformen und königstreuen Militärs, der immer wieder in Putschen endet und Proteste provoziert. Oder die Unruhen im Süden rund um separatistische Rebellen, wodurch in den letzten Jahren Tausende Menschen gestorben sind. Aber ein Konflikt, der die Menschen zuletzt besonders ratlos erscheinen lässt, ist der mit ihrem eigentlich geliebten Tier aus dem Dschungel.
In den vergangenen eineinhalb Jahren sind laut Berichten zumindest 70 Menschen durch Elefanten verletzt oder getötet worden. Über die sechs Jahre bis Ende 2023 lag die menschliche Todeszahl in Aufeinandertreffen mit den großen Tieren je nach Schätzung bei um die 150. Zudem wurden 133 Personen verletzt. Unterdessen starben um die 100 Elefanten. Und hört man informierte Einschätzungen aus dem Land, so deutet wenig darauf hin, dass dieser Konflikt zwischen Mensch und Elefant bald beendet sein wird.
Die menschlichen Bewohnerinnen im Osten des Landes haben sich längst zu Nachbarschaftsvereinigungen zusammengefunden, bauen Zäune, hantieren mit Schreckschusspistolen und fliegen Drohnen über ihre Felder sowie anliegende Wälder, um die Elefanten selbst nachts noch aufzuspüren und diese dann zu verscheuchen. Schließlich kann deren Aktivität auch ohne gesundheitsgefährdende Angriffe für die Menschen verheerend sein.
Warum die Probleme zunehmen
Immer wieder werden die Tiere dabei beobachtet, wie sie die Ernte ärmerer Bauern auffressen. Auch dies ist ein Problem, das bis auf Weiteres größer zu werden scheint. Hintergrund ist denn auch der Klimawandel, der mit zusehends trockenem Wetter zusammenhängt, was wiederum Nassflächen reduziert und Elefanten dazu bewegt, auf die Suche zu gehen. Die Lage ist ernst, und der Umgang mit dem Problem ist gerade in Thailand äußerst heikel.
So berichtete die Zeitung Khaosod im vergangenen Jahr über einen Elefanten, der immer wieder auf Grundstücken Unheil angerichtet hatte und nun laut einem Gerichtsbeschluss umgesiedelt werden muss. Zuvor hatten die Leitung eines öffentlichen Parks, der als verantwortlich für das Tier galt, darum gebeten, mehr Zeit mit der Umsiedlung des Tiers zu erhalten.“ Geklagt hatten 104 Personen.
Nationaltier Elefant
Nationale Medien berichteten ausführlich über den Fall. Denn kaum ein Tier genießt in Thailand so hohes Ansehen wie der Elefant. Die im ganzen Land und darüber hinaus bekannte Biermarke Chang hat als Logo zwei Elefanten – Chang bedeutet Elefant. Vom ehemaligen König Bhumibol hängt überall im Land ein bekanntes Bild, das den Monarchen mit einem Elefanten zeigt. Bis 1916, als Thailand noch Siam hieß, war auch auf der Nationalflagge ein Elefant zu sehen. Entsprechend lautet der Spitzname der Fußballnationalmannschaft Changsuek – Kriegselefanten.
So verwundert kaum, dass Elefanten im südostasiatischen Land auch rechtlichen Schutz genießen. Die Jagd auf Elefanten ist im Land verboten und mit hohen Geldstrafen oder gar Freiheitsentzug bedacht –Forderungen nach einer Lockerung dieser Regelungen sind zuletzt lauter geworden. Dabei ist der rechtliche Schutz erst eine Entwicklung der vergangenen Jahre und resultiert aus der existenziellen Bedrohung, der die Tiere durch Menschen ausgesetzt sind.
Urwaldfläche geschrumpft
Über die vergangenen sieben Jahrzehnte hat sich Thailands menschliche Bevölkerung verdreifacht, die Urwaldfläche im Land dagegen ist um rund die Hälfte geschrumpft. Aus ihr ist landwirtschaftlich genutzte Fläche geworden, für Cashewnüsse, Mangos, Öl, Reis oder Zuckerrohr. Den Elefanten fehlte der Lebensraum, ihre Population fiel in den 100 Jahren bis zur Jahrtausendwende von rund 100.000 auf kaum 3.000. Seither ist sie durch die Schutzmaßnahmen wieder auf mehr als 4.000 angestiegen, Tendenz steigend.
Näher als zehn Meter – wenig Chancen für den Menschen
Viele Bauern im Osten fürchten die Tiere nun zusehends. Überrumpelt werden die Menschen von Elefanten zwar eher nicht. Ihre Näherung ist oft durch lautes Schnaufen zu hören, auch durch das Trampeln auf den Sträuchern, durch die sie sich fortbewegen. Doch wenn man erst in ihr Visier gerät, kann es schnell zu spät sein. Wer sich einem Elefanten auf weniger als zehn Meter annähert, heißt es, sei habe kaum eine Chance auf Überleben.
Dabei seien Elefanten eigentlich friedfertige Tiere, sagt Taan Wannagul, Wissenschaftler am Eastern Elephants Education Centre in Thailand. Der britischen Zeitung Daily Telegraph gegenüber erklärte er zuletzt: „Natürlicherweise würden Elefanten nicht angreifen, aber Menschen beschießen sie mit Pingpongpatronen und lautem Lärm, um sie zu verscheuchen.“ Diese Erfahrungen hätten die Tiere aggressiver gemacht.
Zumal sich Elefanten auch durch ihr gutes Gedächtnis auszeichnen. Das könnte eine Deeskalation noch schwieriger machen.
Felix Lill