Zur Eröffnung der 60. Kunstbiennale in Venedig schwillt der Besucherstrom an wie Acqua Alta. Auf der Piazzetta, der kleinen Schwester der Piazza San Marco vor dem Palazzo Ducale, wird das Gedränge noch dichter. 12 wuchtige Skulpturen des Künstlers Manolo Valdéz verengen drei Monate lang den Raum und symbolisieren vorab die Menschenschlangen, die sich ab 25. April bei den 60 Kontrolloren beim Bahnhof Santa Lucia und am Piazzale Roma stauen werden. Die zwei langen Wochenenden bis zum 1. und 5. Mai werden der Stresstest für ein weltweit einzigartiges Experiment: Eintrittsgeld für eine Stadt. Das 5-Euro-Ticket – Venedigs Notwehr gegen die Massenflut von Tagestouristen. Onlineanmeldung als Flutbarriere gegen Menschenüberschwemmung.
Fragiles Weltkulturerbe
„Ich habe die Ehre, Bürgermeister der schönsten Stadt der Welt zu sein, aber in den letzten Jahren haben wir ein Problem mit der Lebensqualität der Menschen“, verteidigt Bürgermeister Luigi Brugnaro das „Ticket“. An die internationale Öffentlichkeit appelliert er in einer von künstlicher Intelligenz generierten Videobotschaft in fließendem Englisch: „Venedig ist eine fragile, 1600 Jahre alte Stadt, sie ist Weltkulturerbe, wir müssen sie beschützen.“ Den Vorhalt einer neuen Zwangssteuer zum Auffüllen der Stadtkasse weist der Bürgermeister zurück: „Kein Politiker ergreift gerne eine solche Maßnahme. Wir versuchen, die Stadt lebenswerter zu machen.“ Schon gar nicht werde sie ein Geschäft für Venedig: „Ich rechne schon jetzt damit, dass die Kosten höher sein werden als die Einnahmen, zumindest heuer mit den 29 Versuchstagen.“
Der Massentourismus hat in den letzten Jahren den Exodus aus dem historischen Kern Venedigs beschleunigt. Gerade sinkt die Zahl der Bewohner der Città unter 49.000, es gibt schon mehr Gästebetten als Einwohner. Die Massen an Tagestouristen seien „ein Schock für jeden, der hierherkommt“, sagt Philip Rylands, der emeritierte Direktor der Peggy Guggenheim Collection, der in den Magazzini del Sale der Fondazione Vedova gerade eine Ausstellung von Eduard Angeli kuratiert. Der Künstler, der in Wien und am Lido die Venezia wohnt, malt, wie zum Erhalt der Stadt, Venedig-Bilder ohne Menschen.
„Wohnungen statt Ticket“
Tatsächlich muss man in Venedig oft nur zwei, drei Ecken abbiegen, um sich in einsamen Gassen und Campielli zu finden, häufig allerdings wegen des Leerstands mehrerer hundert Gebäude der Stadt. „Venedig darf kein Vergnügungspark sein“, sagen die Gegner des „Tickets“, die für den 25. April zu einer Demonstration aufgerufen haben. Sie verlangen auch per Onlinepetition vielmehr renovierte Wohnungen, Raum und Initiativen für qualifizierte Arbeit für Junge. Hoteliers, wie Christophe Mercier vom Small Luxury Hotel Ca´di Dio nahe der Biennale, meinen, „Venedig sollte Veranstaltungen besser auf das ganze Jahr verteilen“.
Handlungsbedarf bestehe aber auf jeden Fall, sagt auch Umweltaktivist Giovanni Cecconi: „Wenn man mit dem Ticket zwar das Falsche macht, dann ist es aber gut, dass man wenigstens mit etwas beginnt. Man muss zu Respekt für Venedig erziehen.“ Das gilt ebenso für die Lagune als auch für Venedigs Verständnis als globale Kunstmetropole, die nicht im Touristentrampelpfad verlaufen soll. Auch Galerist Taddaeus Ropac, der mit Ausstellungen von Martha Jungwirth und Alex Katz präsent ist, hält das Besucherverständnis für essenziell. „Ich komme seit 40 Jahren hierher. Venedig ist eine einzigartige Stadt. Mit ihrem Kunstreichtum und ihrer Schönheit ist sie besonders zu respektieren. Man muss sich Sorgen machen, aber Venedig wird immer ein unglaublicher Gastgeber der zeitgenössischen Kunst sein. Venedig ist immer größer als die Klischees.“
Als besonderer Gast wird zu einem historischen Besuch am 28. April Papst Franziskus in Venedig erwartet, um die Biennale-Ausstellung des Vatikans zu besuchen, die Kunstinstallation „Con i miei occhi/Mit meinen Augen“ des Künstlers Maurizio Cattelan im Frauengefängnis auf der Insel Giudecca. Mit dem Papamobil auf einer Ponton-Brücke über den Giudecca-Kanal begibt sich der Papst dann in die Basilica Santa Maria della Salute in Dorsoduro zu einem Gespräch mit Jugendlichen und zelebriert anschließend um 11 Uhr eine Messe auf dem Markusplatz. Um den Ansturm zur Messe zu regeln, ist Anmeldung Pflicht. Diese Plätze verteilen die Pfarren des Veneto.
Adolf Winkler, Venedig