Bei Versammlungen zum Gedenken an den in Haft verstorbenen Kreml-Kritiker Alexej Nawalny sind nach Angaben von Menschenrechtlern in Russland mittlerweile mehr als 400 Menschen festgenommen worden. Allein in St. Petersburg hätten die Behörden mindestens 200 Personen inhaftiert, teilt die Online-Bürgerrechtsplattform OVD-Info mit. Insgesamt habe es Festnahmen in 32 russischen Städten gegeben. Die Bürgerrechtler gaben auch juristische Hinweise für das Niederlegen von Blumen und veröffentlichten die Nummer einer Telefon-Hotline für anwaltliche Hilfe. Viele Russen hatten nach dem Tod Nawalnys öffentlich ihre Wut geäußert. „Wie groß doch selbst die Angst des Machtapparates vor einem Toten ist, wenn sogar das Ablegen von Blumen zu seinem Andenken als Verbrechen angesehen wird“, schrieb der russische Friedensnobelpreisträger und Gründer der kremlkritischen Zeitung „Nowaja Gaseta“, Dmitri Muratow, am Samstag im Nachrichtenkanal Telegram.

Zadic warnt: Auslandsstudierende könnten nächstes Kreml-Ziel sein

Justizministerin Alma Zadic (Grüne) warnt, dass nach dem Tod des russischen Regimekritikers Alexej Nawalny nun verstärkt Studierende aus Russland an bestimmten Universitäten im Westen ins Visier des Kreml geraten könnten. Schanna Nemzowa, Tochter des 2015 ermordeten Regimekritikers Boris Nemzow, habe ihr am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz am Samstag von Schwarzen Listen berichtet. Darauf befindliche Personen könnten in Russland strafrechtlich verfolgt werden.

Leiche von Nawalny unauffindbar

Nach dem Tod des Kremlgegners Alexej Nawalny scheint dessen Leiche zunächst unauffindbar zu sein. Wie seine Sprecherin Kira Jarmysch am Samstag auf der Plattform X (vormals Twitter) berichtete, konnten Nawalnys Mutter und dessen Anwalt im Leichenschauhaus der Stadt Salechard, knapp 50 Kilometer vom Straflager Charp im Norden Russlands, keine Spur vom Leichnam entdecken. Die Mutter hatte zuvor eine amtliche Bestätigung von Nawalnys Tod erhalten.

Leichenschauhaus geschlossen

Das Leichenschauhaus sei geschlossen, und über die am Eingang ausgehängte Kontakt-Telefonnummer sei der Anwalt auch nicht zu einer zufriedenstellenden Antwort gekommen. „Ihm wurde gesagt, dass er bereits der siebente Anrufer an diesem Tag sei“, schrieb Jarmysch. „Und der Leichnam Alexejs befinde sich nicht bei ihnen im Leichenschauhaus.“ Ein Mitarbeiter des Straflagers jenseits des Polarkreises habe zuvor mitgeteilt, dass sich Nawalnys Leichnam in der Stadt Salechard zur Untersuchung befinde, teilte Jarmysch mit. Demnach konnte die Mutter die Leiche zunächst nicht identifizieren. Jarmysch forderte, dass der Leichnam den Angehörigen unverzüglich übergeben werden müsse.

Laut der Sprecherin wurde Freitag 14.17 Uhr als Todeszeitpunkt angegeben. Als Todesursache sei Mutter Ljudmila Nawalnaja ein „plötzliches Todessyndrom“ mitgeteilt worden, berichtet der Nawalny-Vertraute Iwan Schdanow. Zu den konkreten Todesumständen treffen die Behörden bisher keine Aussage.

Proteste in zahlreichen Städten

In zahlreichen europäischen Städten, darunter Wien, demonstrierten Menschen vor den jeweiligen russischen Botschaften und nannten Kreml-Chef Wladimir Putin einen Mörder. Trotz Festnahmen und Drucks der Behörden hielten auch in Russland die öffentlichen Beileidsbekundungen für Nawalny an. In Moskau und anderen Städten räumten Männer in Zivil oder Mitarbeiter der Stadtreinigung spontan errichtete Erinnerungsstätten für den 47-Jährigen, der in Haft in der Polarregion unter ungeklärten Umständen starb. Sie packten Blumen in Müllsäcke, sammelten Kerzen und Bilder ein. Medien in vielen Teilen Russlands berichteten am Samstag, dass trotzdem weiter frische Blumen niedergelegt, Kerzen angezündet und Bilder zur Erinnerung an Nawalny aufgestellt wurden.