Die Geschichte ist schnell erzählt – Nachdenken und Kopfschütteln könnten bzw. sollten allerdings länger andauern: Vor wenigen Tagen erst wurde die aktuelle Miss France gekürt – etwaige Diskussionen über Sinnhaftigkeit einer derartigen Kür lassen wir hier außen vor. Eve Gilles ist jedenfalls 20 Jahre alt, stammt aus Dünkirchen im Norden Frankreichs, studiert erfolgreich an der Universität von Lille Mathematik und will laut „Paris Match“ Statistikerin werden. So weit, so gut.

Ein „Pixie Cut“ als Quelle der Empörung

Nicht ganz, denn Frau Gilles trägt ziemlich kurze brünette Haare. Kurze Haare! Miss France setzt auf einen sogenannten „Pixie Cut“, wie der Autor dazulernte. Dieser zierte einst etwa auch die große Audrey Hepburn. Das allein genügt heutzutage vollauf, um den Galle-Generator im Netz anzuwerfen. Im Dickicht sozialer Medien geht Empörung um, vor allem in Frankreich selbst: Gilles‘ Frisur – noch nie in 103 Jahren hatte eine Preisträgerin so ein Haupthaar – müsse einfach ein fragwürdiges politisches Statement sein, ziehen viele ihre Schlüsse aus der Schublade entbehrlicher Vorurteile.

Eve Gilles nach ihrer Kür
Eve Gilles nach ihrer Kür © IMAGO/Courdji Sebastien/ABACA

Es wird auf höchster Stufe spekuliert: Die Jury, die einer Frau mit so einer „atypischen“ Frisur den Titel gab, sei gewiss „woke“, also zu sehr im Zeitgeist. Vielfalt und der Wunsch, so zu sein, wie man ist, hätten nun auch noch das (wohl schon länger brüchige) Bollwerk der Schönheitswettbewerbe unterwandert, wird gewettert. Muss man die Gewinnerin gar der LGBT-Fraktion zurechnen? Parallel dazu befindet das Netz, dass Frau Gilles zu kleine Brüste für eine Gewinnerin hätte. Auch französische Medien griffen das Thema längst auf, stehen Frau Gilles teilweise zur Seite – fragen ihre Leser aber auch spalterisch, zu welchem Lager sie sich denn zählen: Daumen runter oder Daumen rauf für die Kurzhaar-Miss?

Abseits künstlicher Erregung stellen sich gleich mehrere Fragen: Warum gedeihen – gerade in einer wie nie zuvor miteinander vernetzten Welt – offenbar Missgunst, Intoleranz und Dummheit wie Unkraut? Kann man ein Menschenrecht auf die Wahl der eigenen Frisur einfordern? Sind Schwarz und Weiß die einzigen Farben in der Palette der anonym Geifernden? Und vor allem: Hätte die Grande Nation eigentlich nicht viele tatsächliche Probleme, die es zu bewältigen gilt?

Eine sehr gute Antwort hat der Abgeordnete Fabien Roussel (siehe Posting oben): Gilles erlebe die Gewalt einer Gesellschaft, die es nicht akzeptiere, dass Frauen sich in all ihrer Vielfalt selbst definieren. Punkt.