Wenn man das Glück hat, im Kommunikationszeitalter zu leben, dann müsste es leichtfallen, sich jemanden mitzuteilen. Könnte man meinen. Denn obwohl jeder und jede immer und überall erreichbar ist, steht am Beginn jeder Kommunikation die entscheidende Frage: Auf welchem Kanal nehme ich Kontakt auf? Schicke ich eine E-Mail, rufe ich mit dem Telefon an oder sende ich eine Nachricht mit einer Messenger-App? Oder vielleicht ganz exotisch mit Tinte, Briefpapier und Kuvert, oder gehe ich zu Fuß zum Nachbarn, um ihn zur Adventfeier einzuladen? Ein reitender Bote wäre wohl zu exzentrisch und das Telegramm gibt’s längst nicht mehr. Also was jetzt?
Die chinesische Firewall
Selbst wenn man technologisch nicht hinter dem Mond lebt, hinter der chinesischen Firewall bleibt die Kommunikation dennoch kompliziert. Diese elektronische Mauer schottet China vom restlichen Internet mehr oder weniger ab, je nachdem wie streng Chinas Cyber-Administration gerade ist. Viele westliche Apps sind in China gesperrt, chinesische Apps wiederum vertragen sich oft nicht mit dem westlichen Handy, weil das mit einer Umgehungssoftware ausgestattet ist, die in China verboten ist, mit der man aber die chinesische Firewall überwinden kann. Diese Software muss man dann ständig entweder ein- oder ausschalten, je nachdem welche App man verwenden möchte, eine chinesische oder eine westliche.
Weibo statt Twitter, Wechat statt Whatsapp
Während man im Westen „googelt“, befragt man in China „Baidu“. „X“ hat „Weibo“ als chinesischen Zwilling. „Xiaohongshu“ ist eine Art chinesisches „Instagram“, „Douyin“ ist „TikTok“ und statt bei „Amazon“ kauft man in China bei „Taobao“. Chauffieren lässt man sich von „Didi“ statt von „Uber“, Serien sieht man auf „iQiyi“ und nicht auf „Netflix“, bezahlt wird mit „Alipay“ und nicht mit „Paypal“. Alles klar? Beschweren kann man sich darüber auf „WeChat“, aber nicht auf „Whatsapp“. Man muss also gar nicht betrunken sein, um als Westler in China alles doppelt zu sehen.
Wem das alles zu kompliziert ist, der muss sich ein zweites Smartphone anschaffen, was den Alltag auch nicht erleichtert. Dazu kommen etliche doppelte Accounts und ein Wirrwarr an Passwörtern als digitales Ungemach. Dabei nicht verrückt zu werden, ist wahrlich eine Kunst.
Die wahren Leidtragenden dieses zweigeteilten Internets sind allerdings die Chinesinnen und Chinesen, die auch gerne einen Blick über die chinesische Firewall ins westliche Internet wagen wollen. Die westlichen Apps, die das ermöglichen, sind in China verboten. Polizisten können jederzeit und überall die Smartphones kontrollieren, was an heiklen Orten zu heiklen Zeiten auch vorkommt. Gerät man beispielsweise während einer U-Bahnfahrt in eine derartige Kontrolle, dann ist es vorteilhaft zwei Handys zu besitzen. Man zeigt einfach das harmlose, jenes ohne verdächtige, westliche Apps. Das Problem dabei: die meisten Chinesen haben nur ein Smartphone.
Josef Dollinger, aus Peking