Italien hat nicht nur einen schiefen Turm. Neben dem weltweit bekannten Monument in Pisa gibt es auch in Bologna ein gekrümmtes Wahrzeichen, das allerdings weniger bekannt ist. Die Torre Garisenda an der zentralen Piazza Ravegnana wurde im Jahr 1009 von der ghibellinischen Familie Garisenda als Prestige-Objekt errichtet. Sogenannte Geschlechtertürme, bekannt etwa auch aus der toskanischen Stadt San Gimignano, hatten damals in Italien Konjunktur. Der schiefe Turm im Zentrum der Stadt Bologna ist nur 48 Meter hoch, allerdings seit jeher gekrümmt. Nun droht aber offenbar sein Einsturz.

„Das Verhalten des Turms ist unberechenbar“

Bereits im Oktober hatte die Stadtverwaltung die Zone um die beiden mittelalterlichen Ttürme im Zentrum absperren lassen. Während der höhere und ebenfalls schiefe, aber eindeutig geradere Asinelli-Turm (97 Meter) den Statikern derzeit keine Sorgen macht, sieht es mit dem Garisenda-Turm ganz anders aus. Jüngst wurden neue Risse im Mauerwerk sowie gefährliche Schwankungen der gesamten Struktur festgestellt.

Seit 2018 untersuchen Statiker das Objekt und vor einigen Wochen stellten sie fest, dass akute Gefahr droht. Am vergangenen Mittwoch nun legte eine von der Stadt Bologna beauftragte Expertenkommission ihren Bericht vor. Von „Alarmstufe Rot“ ist dort die Rede, „die Sicherheitsbedingungen sind nicht mehr gegeben“, heißt es in dem Bericht. Die Zeitung „La Repubblica“ schrieb: „Das Verhalten des Turms ist unberechenbar.“ Nun muss die Stadt in Windeseile handeln, am heutigen Montag will der Stadtrat über den Fall beraten.

Video: Drohnenflug um die Türme

Doch für lange Beratungen ist den Experten zufolge möglicherweise gar nicht mehr viel Zeit. „Wir können nicht sagen, ob dem Turm nichts passieren wird, ob es einen teilweisen oder plötzlichen Einsturz geben wird. Und vor allem können wir nicht wissen, ob dieses Szenario morgen, in einem Monat oder überhaupt nicht eintritt“, sagt Architekt und Kommissionsmitglied Amedeo Bellini.

Sergio Lagomarsino, Professor für Bautechnik an der Universität Genua und ebenfalls Mitglied in der Kommission, sagte: „Ich glaube fest daran, dass der Turm morgen nicht einstürzen wird, aber wir können es nicht mit Sicherheit sagen.“ Über die Jahrhunderte hinweg habe sich die Qualität des Mauerwerks wegen Witterungseinflüssen und Feuchtigkeit verschlechtert. Es sei unmöglich, Vorhersagen zu machen. 

Die Kommission empfahl ein Vorgehen in mehreren Schritten. Zunächst soll eine große Metallwand errichtet werden, die den bevorstehenden Einsturz verhindert. Anschließend ist eine Umfassung des Turms geplant, der dann möglicherweise abgebaut und wieder originalgetreu aufgebaut werden muss. Über das Vorgehen muss der Stadtrat entscheiden. 4,7 Millionen Euro sind bereits bereit gestellt.

Seit Jahrhunderten statische Probleme

Schon vor Jahrhunderten wies der um vier Grad geneigte Garisenda-Turm statische Probleme auf. Aus diesem Grund wurde der ursprünglich 60 Meter hohe Turm bereits einmal verkürzt, auf aktuell 48 Meter. Das war im 14. Jahrhundert. Bologna ohne seine beiden monumentalen Geschlechtertürme – das ist vor allem für Einheimische nicht vorstellbar. 

Die beiden Türme AsinellI and Garisenda im Jahr 1870. Geneigt ist der Turm seit hunderten Jahren
Die beiden Türme AsinellI and Garisenda im Jahr 1870. Geneigt ist der Turm seit hunderten Jahren © IMAGO/H.Tschanz-Hofmann

Sogar der berühmteste italienische Dichter, Dante Alighieri, nahm in seinem Werk auf den Garisenda-Turm Bezug. Einmal in der Göttlichen Komödie und zuvor bereits in einem Sonett. Darin drückt der Dichter sein Bedauern aus, dass er nur den Garisenda-Turm gesehen habe, aber nicht „la maggior“, den größeren Turm. Die Literaturwissenschaft ist sich allerdings sicher, dass Dante nicht auf die Torre Asinelli, sondern auf eine damals berühmte Bologneser Schönheit anspielte.