Die Häuser wackeln, die Fenster klirren, tiefe Risse pflügen sich durch asphaltschwere Straßen. Die Insel Island kommt dieser Tage nicht zur Ruhe. Mehr als 1000 Erdbeben registrierten die örtlichen Behörden in den letzten zwei Tagen – allein 300 waren es gestern, 14 davon verzeichneten eine Stärke von 4. Das schürt auf der Insel im Nordatlantik die Sorgen vor einem nahenden Vulkanausbruch, der laut Experten ausgelöst werden könnte.
Eruption jederzeit möglich
Bereits am Donnerstag wurde die beliebte „Blaue Lagune“ – ein Thermalfreibad inmitten eines Lavafeldes – geschlossen. Am Tag darauf wurde die Kleinstadt Grindavík im Südwesten des Landes evakuiert.
„Wenn Lava aufsteigt, entstehen Hebungen, Senkungen und Risse in der Erdkruste. Wenn die Risse bis zur Oberfläche reichen, kommt es zur Eruption“, erklärt Vulkanologe Robert Supper. Gewiss sei ein Ausbruch nicht, erklärt Supper, aber die Phase sei „gefährlich“, eine Eruption könne jederzeit vorkommen. Wann genau, lässt sich in der Wissenschaft nicht erheben. Das Eiland sitzt auf Nadeln, kein Wunder.
„Bedeutendster geologischer Vorgang seit Jahrzehnten“
Island zählt 32 aktive Vulkane, die Insel lebt von ihnen – in mehrfacher Hinsicht. Sie sind Touristenattraktionen, sorgen für einmalige Naturspektakel, der Boden auf der Insel ist eben wegen der Vulkane besonders fruchtbar. Das Grummeln ist für die Bewohnerinnen und Bewohner business as usual, erst im Juli kam es im dritten Jahr in Folge zu einem vulkanischen Ausbruch.
Trotzdem lassen die lokalen Behörden dieses Mal Vorsicht walten. Der isländische Geologe Páll Einarsson von der Universität in Reykjavik spricht gegenüber der Kleinen Zeitung von einer der „bedeutendsten geologischen Vorgängen seit Jahrzehnten“. Das Problem: Das Risikogebiet befindet sich auf der Halbinsel Reykjanes. Dort brodelt ein 15 Kilometer langer Magmatunnel unter der Erdoberfläche und läuft ins Meer. Weil ein Großteil der Insel aufgrund der Natur unbewohnbar ist, leben zwei Drittel der Bewohner in der Hauptstadt Reykjavik. Oft müssen die Behörden also gar keine Evakuierungen verordnen. Doch das ist dieses Mal anders. Die Natur bricht sich Bahn, die Gefahr für die Bevölkerung ist real. „Die Evakuierung einer ganzen Stadt hat es in Island bisher nur einmal gegeben, und zwar während des Ausbruchs des Heimaey-Vulkans in Vestmannaeyjar im Jahr 1973“, erklärt Einarsson. Das Kraftwerk Svartsengi, das der Hauptversorger der Halbinsel Reykjanes für Strom und Wasser ist, könnte nun ebenfalls betroffen sein. „Wie stark ein Ausbruch wird, können wir vorher aber nicht sagen“, erklärt wiederum Vulkanologe Supper.
So ruhig es auf Island auch sein mag, braucht es Ruhe und Nachsicht mit der Insel im hohen Norden, zumindest geologisch gesehen. Denn das Eiland ist noch in der Wachstumsphase, verändert sich laufend: „Island liegt am mittelozeanischen Rücken. Hier wird ständig neues Land generiert. Die Insel wächst jedes Jahr zwischen zwei und fünf Zentimeter“, sagt Supper. Ausbrüche seien normal. Vermehrte Aktivität würde laut Supper auch durch den Klimawandel begünstigt werden: „Schmelzende Gletscher beeinflussen Vulkane.“
Drei mögliche Szenarien sind laut Experten in Island nun möglich: Entweder das Magma breche auf dem Festland aus, die Lage beruhige sich oder es gebe einen Ausbruch am Meeresboden vor der Küste – vermehrte Erschütterungen vor der Insel Eldey könnten darauf hindeuten. Ein solches Szenario ruft Erinnerungen an den 2010 ausgebrochenen Vulkangletscher Eyjafjallajökull wach. Damals stach eine kilometerhohe Aschesäule in die Luft und sorgte für Chaos, der Flugverkehr ganz Europa wurde eingestellt, 100.000 Flüge wurden gestrichen.