Der 35-köpfige ORF-Stiftungsrat hat am Donnerstagvormittag in der ersten Sitzung Lothar Lockl zu seinem Vorsitzenden gewählt. Der PR-Berater, der unter anderem Alexander Van der Bellen auf seinem Weg in die Hofburg beriet, kam auf Ticket der grünen Parlamentspartei in den Stiftungsrat. Das Öffentlichwerden eines Sideletters der Regierungsparteien und Kritik an Aufträgen aus dem Infrastrukturministerium an Lockls Agentur hatten zuletzt wieder ein wenig Spannung in die Wahl zum Vorsitzenden gebracht. Am Ende fiel die Entscheidung aber deutlich aus: Mit 34 von 35 möglichen Stimmen löste er seinen Vorgänger Norbert Steger ab. Letzterer betonte schon vor der heutigen Wahl: Lothar Lockl "kann das".
Lockl wird als neuer Vorsitzender künftig die Sitzungen des Stiftungsrats vorbereiten, einberufen und die Tagesordnung festsetzen. Er erteilt in den Sitzungen das Wort und bringt Anträge zur Abstimmung. Auch schreibt er den Job des ORF-Generaldirektors aus. Seine Stimme entscheidet, sollte bei Abstimmungen im Gremium Stimmengleichheit herrschen. Die ehrenamtlichen und weisungsfreien Stiftungsräte bestimmen u.a. den ORF-Generaldirektor mit einfacher Mehrheit und können diesen mit Zweidrittelmehrheit abbestellen. Die Gremienmitglieder beschließen zudem Erhöhungen der ORF-Gebühren und weitere wesentliche Unternehmensentscheidungen.
Kritik und Bedenken
22 Männer und 13 Frauen bilden für die nächsten vier Jahre das Gremium und haben dort aufsichtsratsähnliche Verantwortlichkeiten. Die Mehrheit hält weiterhin der ÖVP-"Freundeskreis" gemeinsam mit ihm nahestehenden "Unabhängigen". Dahinter verändert die Regierungskonstellation die Machtverhältnisse: Der grüne Freundeskreis wächst auf sechs Mitglieder an, der blaue schrumpft von vier auf einen.
Im Vorfeld äußerte der Rundfunkrechtler Hans Peter Lehofer Bedenken zur Zusammenstellung des Publikumsrats, der sechs Mitglieder zum Stiftungsrat beisteuert. Lehofers Kritik: Die Publikumsräte seien teilweise nicht repräsentativ für den gesellschaftlichen Bereich, für den sie nominiert wurden. Auch hätten viele Organisationen keine gesetzlich vorgesehenen Dreier-Vorschläge erstattet. Kritik kam zuletzt auch von Fritz Hausjell ("Reporter ohne Grenzen") am Zugriff der Regierung auf das Gremium. Eine Entpolitisierung könnte Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) initiieren. Eine Gremienreform im Rahmen der geplanten Novelle des ORF-Gesetzes ist aber nicht zu erwarten.
Der Stiftungsrat in seiner heutigen Form wurde von der schwarz-blauen Koalition 2001 beschlossen. Die Reform sollte den Einfluss der Politik auf das Vorgängermodell "Kuratorium" verringern und sah vor, dass Stiftungsräte keine politische Funktion innehaben dürfen. Der damalige Wunsch eines entpolitisierten ORF fand – siehe Freundeskreise – in der Realität nur bedingt Niederschlag.
Warum tut sich ein Stiftungsrat die unentgeltliche Verantwortung an – nur geringe Aufwandsentschädigungen werden bezahlt – und nimmt in Kauf, persönlich haftbar zu sein? "Weil man glaubt, man kann etwas bewirken", erklärt Norbert Steger, der nach mehr als einem Jahrzehnt im Stiftungsrat am Donnerstag nicht mehr dabei sein wird.