Die Wissenschaftsskepsis in Österreich wurde durch die Coronapandemie mit einem Schlag spürbar. Nun wurde sie gemessen: Fast ein Drittel der Menschen in Österreich (30 Prozent) hat kaum Vertrauen in die Wissenschaft. Im Gegenteil: 37 Prozent verlassen sich lieber auf ihren eigenen "gesunden Menschenverstand". Besonders skeptisch zeigen sich Personen mit niedrigem Haushaltseinkommen und ohne Matura. Das zeigt das heute präsentierte Wissenschaftsbarometer der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).
"Wir müssen kämpfen", dass wissenschaftliche Erkenntnisse für voll genommen werden, sagt daher der frühere Wissenschaftsminister und heutige Präsident der ÖAW, Heinz Faßmann: "Ein automatisches Ja und Amen zur Wissenschaft gibt es nicht mehr – falls es dies überhaupt je gegeben hat". Man müsse folglich "in einem höheren Ausmaß als je zuvor erklären, vermitteln und überzeugen".
Es gebe in den Umfrageergebnissen zwar leichte Alterseffekte – Jüngere und Ältere sind tendenziell positiver eingestellt – und etwas weniger Skepsis in den Städten, eine "Zweiteilung der Bevölkerung" sieht Faßmann aber nicht. Bei Blick auf die Detailergebnisse zeigt sich aber, dass das Vertrauen bei Personen aus bildungsferneren Bevölkerungsgruppen und mit niedriger werdendem Einkommen merklich schwindet. Während 42 Prozent der Personen mit Matura "großes Vertrauen" bekunden, tut das in der Gruppe "Ohne Matura" nur ein Viertel. Bei Menschen mit einem Nettoeinkommen unter 1.500 Euro monatlich ist die Gruppe der wenig Vertrauensvollen mit 46 Prozent am größten.
Viel Vertrauen in Mathematik, weniger in Klimaforschung
Neben den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sieht Faßmann auch Politik, Medien und die Schulen in der Pflicht: Die Verbindung zwischen der Wissenschaft und ihren Erfolgen von Medikamenten bis Smartphones müsse auch in der Pflichtschule klarer erklärt werden, findet der frühere Bildungsminister. So wüssten viele etwa nicht, wie aufwendig der Prozess von der Entdeckung eines Wirkstoffes bis zur Zulassung eines Medikaments sei: "In den Schulbüchern wird das fertige Ergebnis gebracht, aber nicht der lange Weg dahinter", so der Ex-Bildungsminister.
Der Fokus müsse daher auf der Pflichtschule und den zehn bis 14-Jährigen liegen. Disziplinen, die man aus der Schule kennt, werde mehr vertraut, erklärte Andrea Fronaschütz, Geschäftsführerin von Gallup Österreich: Während Naturwissenschaften wie Mathematik, Physik und Chemie sowie Medizin verhältnismäßig großes Vertrauen entgegenschlägt, zeigen sich die Österreicherinnen und Österreicher etwa gegenüber Ökologie- und Klimaforschung, Wirtschaftswissenschaften und Informatik besonders skeptisch.
Das dürfte auch zu einem grundlegenden Misstrauen führen: So vertraut ein Drittel der Befragung der Lebenserfahrung "einfacher Menschen" mehr als der Einschätzungen von Wissenschaftern. Dass Wissenschafter, Politik und Wirtschaft unter einer Decke stecken, meint auch ein erklecklicher Anteil der Studienteilnehmer (34 Prozent). Insgesamt werde von rund einem Drittel der Befragten die Wissenschaft als Teil einer "Elite" gesehen, die abgelehnt wird, so Fronaschütz. Jeder Fünfte glaube außerdem, dass in der Wissenschaft "viel getrickst" und "manipuliert" wird. Genauso viele sehen Forscher und Forscherinnen allerdings als gut ausgebildete Experten und Expertinnen, denen man "absolut Glauben schenken" kann.
Medien in der Pflicht
Allgemein gelte: Distanz führt zu Misstrauen. Die Kluft könne aber durch Medienkonsum überwunden werden, hofft die ÖAW. Immerhin informiert sich der Großteil über Internet, Fernsehen und Zeitungen über wissenschaftliche Inhalte. Faßmann fordert daher, Wissenschaftsjournalismus als gesetzliche Voraussetzung für den Bezug von Medienförderung festzusetzen – im aktuellen Entwurf fehlt ein solcher Passus. "Da verstehe ich ganz viel offensichtlich nicht", sagte der frühere ÖVP-Politiker, der hofft, dass sich die Forderung der ÖAW in der Debatte im Nationalrat durchsetzt. Immerhin sind nur 38 Prozent der Befragten aktuell mit der medialen Berichterstattung über Wissenschaft zufrieden.
Immerhin seien Informationen über Wissenschaft für zwei Drittel der 1500 Befragten wichtig, nur etwas mehr als ein Drittel fühlt sich aber gut informiert. Diese Lücke zu schließen, sei besonders wichtig, erklärte Fronaschütz. Dass jeder und jede Achte wenig bis kein Interesse an Wissenschaft hat, decke sich aber ziemliche genau mit den gar nicht überzeugbaren Impfgegnern.
Die Wissenschaftsskepsis in Österreich ähnelt jener im restlichen deutschsprachigen Raum: In Deutschland vertrauen aktuell rund 62 Prozent der Wissenschaft, in der Schweiz gar nur 59. Das etwas bessere Niveau in Österreich könne aber auch dem Befragungszeitraum geschuldet sein, erklärte Fronaschütz: Unmittelbar vor der Umfrage wurde bekannt, dass mit Anton Zeilinger ein Österreicher den heurigen Physiknobelpreis erhält.