Der Suizid einer Landärztin, die sich veranlasst sah, ihre Praxis wegen der Drohung aus der Corona-Szene zu schließen, schockiert die Öffentlichkeit. Sie haben das Gesetz „Hass im Netz“ verhandelt. Besteht Handlungsbedarf?
KAROLINE EDTSTADLER: Gerade bei diesem an Dramatik nicht zu überbietenden Fall zeigt sich, wie gefährlich Hass im Netz ist. Wir haben in Österreich relativ viel getan. Der Fall zeigt aber auch, dass man ständig an der Sensibilität arbeiten muss, wozu ein anonymes Hass-Posting führen kann.
Von mehr Sensibilisierung lassen sich Täter nicht abschrecken?
Die Täter müssen die volle Härte spüren. Polizei und Justiz müssen dahingehend sensibilisiert werden, dass man solche Vorfälle nicht einfach abtut und sagt: „Naja, ist halt eine Drohung im Netz.“ Das muss wirkungsvoll bekämpft werden.
Gesetzlichen Handlungsbedarf gibt es also keinen? Ist das nicht eine Kapitulation des Rechtsstaats?
Überhaupt nicht, wir haben uns sehr früh der Thematik angenommen und die nötigen Gesetze verabschiedet. Solche Drohungen dürfen kein Kavaliersdelikt sein. Einen so dramatischen Fall kann man nicht einfach abhaken. Er zeigt, dass wir noch mehr Sensibilisierung brauchen.
Sie haben immer wieder gefordert, dass die Justizverfahren gestrafft werden im Interesse der Beschuldigten?
Wir haben Verfahren, die sich über Jahrzehnte hinziehen, wir haben Beschuldigte, die nicht mehr kreditwürdig sind, die keinen Job kriegen, die sozial geächtet werden. Das kommt einer zivilen Todesstrafe gleich, und deshalb muss man da entsprechend gegensteuern und Beschuldigtenrechte stärken. Ich bin die Erste, die dafür steht, dass Straftaten aufgeklärt werden müssen, nur muss der Rechtsschutz gewahrt bleiben. Wenn heute ein Handy beschlagnahmt wird, wird das mit einfacher Anordnung der Staatsanwaltschaft gemacht, man greift aber auf Daten zu, die teilweise Jahrzehnte zurückreichen. Ich plädiere dafür, dass künftig ein Richter beigezogen wird, wenn es um die Auswertung geht.
Das klingt ganz nach einer Lex-Kurz, ist eine Anlassgesetzgebung?
Überhaupt nicht. Eine vergleichbare Regelung gibt es bei der Telefonüberwachung. Ich war sonderzuständig als Richterin für Suchtgift am Landesgericht Salzburg, und da hat es regelmäßig Telefonüberwachungen gegeben. Da brauchte man eine richterliche Bewilligung für einen ganz bestimmten Zeitraum. Zudem ist es in Mode gekommen, dass vieles, auch Dinge, die nichts mit einem Strafverfahren zu tun haben und vielleicht auch in der Cloud sind, durch Leaks nach außen gespielt werden.
Bundesstaatsanwaltschaft – die Forderung bleibt?
Ja, in der Justiz tagt eine Arbeitsgruppe, auf politischer Ebene gibt es noch keine Gespräche. Ich bin dafür, dass eine Person dort an der Spitze steht, nicht ein Kollegialorgan, für eine möglichst langen Zeitraum, damit es keine politische Einflussnahme gibt, und dass der Bundesstaatsanwalt dem Parlament gegenüber verantwortlich ist. Das ist in einer Demokratie etwas Selbstverständliches, das ist die rote Linie.
Gibt es einen Dissens?
Die Ernennung durch den Bundespräsidenten ist schon mal ein sehr hoch angesetztes Level. Dennoch, es sind noch viele Fragen offen: Wer sitzt in der Kommission, wer wählt sie aus, wie ist die Reihung, wer schlägt vor? Schlägt die Justizministerin vor? Kann der Bundespräsident umreihen?
Bei Corona hat die EU-Kommission gemeinsam Impfdosen eingekauft. Warum kauft man europaweit nicht auch das Gas ein?
Die Corona-Pandemie war eigentlich zum Warmlaufen, was diese Prozesse betroffen hat. Mit der Energie ist es noch viel komplizierter. Es gibt mittlerweile diese gemeinsame Gasplattform, die sehr schleppend anläuft, wo wir hoffentlich einmal alle miteinander einkaufen und wir uns dann vielleicht auf einen gemeinsamen Höchstpreis einigen, zu dem wir Gas einkaufen.
Von Solidarität ist wenig zu merken?
Das letzte Mal, als wir über Solidarität gesprochen haben, ging es ums Geld. Da waren wir solidarisch gegenüber den Ländern im Süden, die uns ganz klar gesagt haben, wir brauchen jetzt diesen „next generation“-Aufbau-Fonds. Diese Solidarität braucht es jetzt auch, wenn es ums Gas geht. Da erwarte ich mir, dass diese Länder, die geografisch im Vorteil sind, uns Unterstützung bieten.
Wie?
Ich will mir nicht vorstellen, dass wir im Winter mit drei Pullovern dasitzen, deshalb müssen wir, wie es die Kommission vorgeschlagen hat, europaweit sparen. Man sollte sich auch vom Pragmatismus der deutschen Grünen was abschauen, die auf Kohle, Wasserstoff und LNG setzen.
Müssten in Österreich nicht auch einige Landeshauptleute über ihren Schatten springen, die Windräder, große Fotovoltaik-Parks verhindern?
Wir haben eher das Problem, dass durch überlange Verfahren solche Vorhaben nicht realisiert werden. Es ist ein Umdenkprozess im Gange, und dann kann man nicht mehr sagen: Überall kann was errichtet werden – außer bei mir zu Hause. Wir müssen aus der Abhängigkeit Russlands raus, denn sonst bleiben wir immer erpressbar. Die Deutschen machen uns das vor.
Der ÖVP-Chef bleibt bis zur nächsten Wahl Karl Nehammer?
Selbstverständlich, er ist gerade mit 100 Prozent in Graz gewählt worden.
Es gibt ja Wahlen in Tirol, wo man sehr nervös ist. Auch in NÖ und Salzburg wird gewählt.
In ganz Europa haben Regierungen derzeit Probleme, und es entlädt sich der Zorn auf die Regierenden. Wir werden es nie jedem recht machen, aber in Zeiten wie diesen, sollte man einfach arbeiten und das tun wir.
Augen zu und durch - trotz grottenschlechter Umfragen?
Ich sehe keine Alternative, und ich sehe es auch als Verantwortung für Österreich, gerade in einer so schwierigen Zeit jeden Tag hart zu arbeiten. Wir haben schon ordentliche Entlastungspakete geschnürt. Wir lernen auch jeden Tag dazu, haben auch nicht alles immer perfekt gemacht. Es gibt bessere Debatten, als jetzt im Sommerloch nur über den Zustand der ÖVP zu reden.
Werden Sie Van der Bellen wählen?
Ja, ich unterstütze, dass er wieder antritt und werde ihn auch wählen.