"Ich sehe dies als Teil eines feindlichen Umgangs mit der Natur in diesem Land", gab Robert MacFarlane gegenüber der BBC zu Protokoll. Der britische Naturschriftsteller, der preisgekrönte Bücher über Natur und Wanderlust schrieb, war fassungslos: Entlang des historischen Hadrianswalls an der Grenze zwischen England und Schottland wuchs ein berühmt gewordener Bergahorn in der "Sycamore Gap" genannten Vertiefung. Nun liegt er dort, gefällt, quer über der alten römischen Grenzbefestigungsanlage.

Bewusst mit einem Schnitt gefällt

Der Baum, der 60 Kilometer westlich von Newcastle im Nordosten Englands direkt auf dem Wall seit geschätzten 300 Jahren gedieh, war in der stürmischen Nacht auf Donnerstag mit einem Schnitt "umgelegt" worden. Es gebe kein Zweifel, dass er bewusst gefällt worden sei, hieß es im Northumberland National Park. Ein der Fällung des Baums verdächtigter 16-Jähriger wurde verhaftet – und auf Kaution freigelassen. Über das Motiv, ein Naturdenkmal wie dieses umzuschneiden, kann derzeit nur spekuliert werden. Die Behörden der Region Northumbria werfen dem Burschen Sachbeschädigung vor.



Die Ermittler erklärten zugleich, sie stünden bei den Ermittlungen zum "sinnlosen Verbrechen" am Anfang und ermittelten in alle Richtungen. Der Verdächtige sei "kooperativ". Spaziergänger hatten den Vandalismus am Morgen entdeckt und die Polizei informiert. Am Baumstumpf: weiße Farbmarkierungen. Tags darauf wurde ein weiterer Verdächtiger in seinen Sechzigern verhaftet: Die Polizei hofft, dass diese zweite Festnahme "zeigt, wie ernst man die Situation nimmt und wie sehr man sich dafür einsetzt, die Verantwortlichen zu finden und vor Gericht zu stellen."

Eine Montage des "Sycamore Gap"-Baumes – "davor und danach"
Eine Montage des "Sycamore Gap"-Baumes – "davor und danach" © (c) APA/AFP/OLI SCARFF



Bei English Heritage, dem Amt für Natur- oder Kulturdenkmalschutz, zeigt man sich auf Anfrage "schockiert und zutiefst bestürzt." Der "Sycamore Gap"-Baum sei jahrhundertelang eine "Quelle für Inspiration, Freude und Trost" gewesen. Bekannt geworden war der Baum nicht zuletzt durch eine Szene in der "Robin Hood"-Verfilmung mit Kevin Costner von 1991. Über viele Jahre inspirierten der Bergahorn und die Szenerie rundherum unzählige Künstler. Die Naturschutzorganisation National Trust betonte: "Wir sind sehr dankbar für alle Unterstützungsangebote, die wir erhalten haben – von Menschen im Nordosten und weit darüber hinaus. Es ist klar, dass dieser Baum für viele, viele Menschen etwas Besonderes war."

National-Trust-Chef Andrew Poad - die Organisation für Kultur- und Naturschutz geht davon aus, dass der Bergahorn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gesetzt wurde - ließ im BBC-Frühstücksfernsehen ein wenig Hoffnung keimen: Der Baum sei an sich "sehr gesund" (gewesen), sodass aus seinem Stumpf nach dem Verlust der primären Sprossachse Triebe als "Stockausschlag" neu wachsen könnten. Dann könnte es ein zweites Leben für das Naturdenkmal geben, so Poad. Sollten neue Triebe ausschlagen und gelänge es, deren Wachstum zu unterstützen, wäre dies "eines der bestmöglichen Szenarien". Ob es funktioniert, bleibt offen.

Trauriger Rest: Die Polizei am Stumpf des Baumes
Trauriger Rest: Die Polizei am Stumpf des Baumes © (c) AP (Owen Humphreys)

"Welch Reaktionen es hervorgerufen hat!"

Naturpoet MacFarlane sagte, die weitverbreitete Abscheu über den Verlust des Baumes habe auch eine "positive Seite", um Menschen für die fortschreitende Zerstörung der Natur zu sensibilisieren: "Welch Reaktionen es hervorgerufen hat! Trauer, Gedichte, Gemälde, Zeichnungen, Fotografien, Geschichten, Erinnerungen!" Wie werde man nun die Stärke davon nutzen und Gutes tun, sinnierte er.

Der umgeschnittene Baum in einer Luftaufnahme
Der umgeschnittene Baum in einer Luftaufnahme © (c) APA/AFP/OLI SCARFF (OLI SCARFF)



Seitens des Northumbria Nationalparks galt der "Robin Hood"-Baum als einer der am häufigsten fotografierten Bäume im Königreich. 2016 wurde der an der "Festung 39" gelegene Veteran noch im Rahmen des Woodland Trust zum "Englischen Baum des Jahres" gekürt. Die Naturschutzorganisation sieht einen "unersetzlichen Verlust".

So sah der ikonische Baum bis Mittwoch aus
So sah der ikonische Baum bis Mittwoch aus © (c) imago images / Joana Kruse (Joana Kruse via www.imago-images.de)



Labour-Parlamentsabgeordnete Sharon Hodgson sah das "herzbrechende" Ende der Ikone – und fragte, was sich gerade vermutlich viele Briten fragen: "Warum tut jemand so etwas?" Es gilt wohl, das gesamte Problem des Naturschwundes im Land zu sehen: Laut Global Forest Watch verlor Großbritannien von 2001 bis 2022 insgesamt 541.000 Hektar seines Baumbestandes.