Zu Fuß unterwegs sein, Rad fahren, mit Tretrollern, Scootern und Skateboards durch die Welt rollen: Als aktive Mobilität wird jede Form der Fortbewegung aus eigener Muskelkraft verstanden. Zu diesem Themenkomplex wurde eine Stiftungsprofessur an der Uni Graz ausgeschrieben und am Institut für Umweltsystemwissenschaften besetzt. Die TU Graz erhält dazu eine Projektassistenz-Stelle am Institut für Städtebau. Im Interview präzisiert Stiftungsprofessorin Nina Hampl, die lange auch an der Uni Klagenfurt tätig war, ihre Projekte und Ziele.
Wie waren Sie heute unterwegs?
NINA HAMPL: Auf den eigenen Beinen (lacht). Am liebsten gehe ich zu Fuß, bei längeren Distanzen fahre ich Bahn. Ich musste länger zwischen der Schweiz und Wien pendeln: Die Bahn war zwei Tage in der Woche mein Büro. Und elektrisch fahre ich mit meinem Auto Renault Zoe, wenn die Öffi-Verbindung nicht gut genug ist.
Sie sind Betriebswirtin, Sie beschäftigen sich mit Nutzer-Erfahrungen: Welches Konzept brauchen die Städte, um eine aktive Mobilität zu ermöglichen?
Das Konzept der 15-Minuten-Stadt, also dass alles innerhalb von 15 Minuten zu erreichen ist, wäre ideal. Auch Mobilitätsverträge, mit denen sich Bauträger verpflichten, verbindlich Investition in Infrastrukturlösungen wie Fahrradanbindungen und Bikesharing zu investieren oder zur Verfügung zu stellen, sind sehr wichtig – die Bauträger erhalten so Vergünstigungen wie einen reduzierten Stellplatzschlüssel.
Die einfachste Politikformel die man derzeit hört, lautet: Autos raus aus der Stadt, auch E-Autos!
E-Autos emittieren ebenso Emissionen, etwa durch Bremsabrieb. Das Problem ist, es gibt keine einfache Lösung, weil das Ganze systemisch betrachtet werden muss. Auf der einen Seite muss man entsprechend Akzente setzen. Über Infrastrukturmaßnahmen: wie Straßen zu Fußgängerzonen zu machen oder eine Citymaut einzuheben. Man muss es unbequemer machen für den Autoverkehr – auf der anderen Seite muss man reale Alternativen schaffen. Wenn ich nur sage: Autos weg und ich investiere nichts in die Infrastruktur, wie Gehsteige oder in den Radverkehr und in Öffis, dann werde ich die Leute nicht vom Auto wegbringen. Es geht auch um soziale Verträglichkeit.
Welche Rolle spielt die aktive Mobilität dabei?
Aktive Mobilität ist nicht nur ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz, sondern es geht dabei auch um die eigene Gesundheit. Das ist ein ganz anderer Zugang. Oft wird das Thema aktive Mobilität ausschließlich in Bezug auf Umwelt kommuniziert. Für uns geht es jetzt darum, stärker auf die Gesundheit zu fokussieren, damit man zusätzliche Anreize für die aktive Mobilität schafft. Das wird noch viel zu wenig mitbetrachtet, wie aktive Mobilitätsformen ein Teil des Lebens werden. Man kann aktive Mobilität letztlich aber nicht losgelöst vom Individuum betrachten, es ist immer ein Mix unterschiedlicher Transportmodi.
Welche Akzente können Sie konkret setzen?
Ich mache Analysen, versuche herauszufinden, welche Parameter in Entscheidungen einfließen und wie die Parameter sein sollten, um Entscheidungen zu lenken. Etwa über partizipative Projekte, wie man Menschen in gemeinsame Projekte einbindet, wie man Lösungen schaffen kann, die man skaliert, also in einem größeren Maßstab umgesetzt werden können. Das Klimaministerium hat einen Routenplaner, der zeigt, wie eine gesunde Route ausschaut. Also Alternativen mit dem Rad oder wenn man zu Fuß von A nach B unterwegs ist.
Die moralische Keule wird ausgepackt. Gute Menschen bleiben am Boden, schlechte fliegen. Helfen solche Diskussionen, wenn man Menschen von anderen Mobilitätsformen überzeugen will?
Die Moralkeule ist nicht immer gut für die Akzeptanz. Es geht nicht um gute und schlechte Menschen, das stellt nicht das Verhalten infrage, sondern zielt auf Menschen selber. Es ist wichtig, Zielsetzungen vor Augen zu haben. 2040 wollen wir klimaneutral sein. Das Wesentlichste ist der menschgemachte Klimawandel und wir spüren ihn schon. Wir haben eine Verantwortung zukünftigen Generationen gegenüber. Je nachdem, welchen Lebensstil man pflegt, kann dies Einschränkungen bedeuten. Es ist schwierig, dieses Thema auf einfache Antworten runterzubrechen. Man muss den gesamten Lebensbereich von Menschen betrachten.
Die Energiefrage wird thematisiert, natürlich auch bei der E-Mobilität.
Jede Energie, die nicht gebraucht wird, ist die beste Energie. Und die eigene Muskelkraft belastet nicht das Energiesystem. Aktive Mobilität muss man an der Schnittstelle betrachten: Energie, Mobilität, Gesundheit – und wie man die drei Bereiche zusammenbringen kann.
Wie können letztlich diverse Anreize für aktive Mobilität aussehen?
Es gibt Beispiele für innovative Förderkonzepte, etwa Radurlaube auf Rezept. Ein deutscher Reiseveranstalter bietet das an. Da wird von der Krankenkasse ein Teil vom Fahrradurlaub rückerstattet. Spannend sind Mikroförderungen, wenn man aktive Mobilitätsformen nutzt und zum Beispiel als Belohnung für die mit aktiver Mobilität zurückgelegten Wege Förderungen erhält. Ein personalisiertes Förderbudget – zum Beispiel, wenn man das Fahrrad nutzt und nicht das Auto. Aber die Umsetzung ist schwierig. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, über die Arbeitnehmerveranlagung einzugreifen: Wenn die Person vorrangig aktive Mobilitätsformen nutzt, erhält sie im Gegenzug eine Steuergutschrift. Wichtig sind in diesem ganzen Bereich die Diversität und die Inklusion. Nicht jeder kann alle Mobilitätsformen real nutzen, es geht auch um soziale Verträglichkeit. Es bleibt ein komplexes Thema.
Didi Hubmann