Ein mutmaßlicher Mordversuch in der U-Bahn wird am Dienstag in Wien vor einem Schwurgericht verhandelt. Ein 21-Jähriger hatte am 4. Jänner 2023 in der U3 einen 63-Jährigen mit Faustschlägen ins Gesicht bewusstlos geschlagen. Dann trat er dem am Boden Liegenden mit voller Wucht mehrmals gegen den Kopf und den Oberkörper trat. Die Staatsanwaltschaft geht von – zumindest bedingtem – Tötungsvorsatz aus. Der Angeklagte bestreitet das.
Unter Drogeneinfluss
"Das hatte er sicher nicht vor, dass jemand stirbt", hielt dem Verteidiger Johannes Maximilian Fouchs entgegen. Der Angeklagte bekräftigte das. Er habe den Mann nicht töten wollen, "das weiß ich. Ich habe Prinzipien in meinem Leben, an die ich mich streng halte. An so etwas würde ich nie denken". Er sei damals unter Drogeneinfluss gestanden und habe deswegen Erinnerungslücken: "Ich wollte zu Freunden fahren. Das ist alles, was ich weiß." Er sei in der U-Bahn "angerempelt" worden: "Ich habe gedacht, jemand will kämpfen." Er habe darauf "reagiert". Was passiert sei, tue ihm "furchtbar leid. Ich bereue. Ich hab dann eh aufgehört."
Ohne Vorwarnung
Der 63-Jährige – ihm gehört eine Trafik am Praterstern – war mit der U-Bahn von der Arbeit nach Hause gefahren. In der Station Stephansplatz stieg er in die U3 und setzte sich auf einen freien Platz. Weil der Mann neben ihm ausgesprochen breitbeinig da saß, bat er diesen, eine andere Haltung einzunehmen. Der 21-Jährige ignorierte zunächst den älteren Mann. Als dieser seine Aufforderung wiederholte, donnerte er ihm laut Anklage ansatzlos und ohne Vorwarnung die Faust mehrfach ins Gesicht.
"Mehrmals wuchtig auf den Kopf"
Der Trafikant verlor sofort das Bewusstsein und sackte zu Boden, wo er auf dem Rücken zu liegen kam. Was daraufhin geschah, belegen Aufnahmen aus Überwachungskameras der Wiener Linien: Der 21-Jährige stellt sich breitbeinig über das Opfer, ergreift mit beiden Händen die Haltestangen, zieht sich in die Höhe "und stampft dem bewusstlos am Boden Liegenden mehrmals wuchtig auf den Kopf und das Brustbein", wie Staatsanwältin Tatjana Spitzer-Edl den Geschworenen schilderte.
Der 63-Jährige hat an diese Vorgänge keine Erinnerung mehr. Diese sei "abgeschaltet", berichtete er in seiner Zeugenaussage. Die Erinnerung setze erst wieder ein, "als ich im Spital war. Da war es 21 Uhr. Die Uhr sehe ich vor mir."
Brüche, Prellungen
Der Trafikant erlitt eine Gehirnerschütterung mit länger dauernder Erinnerungslücke, einen Bruch des Brustbeines, Brüche des rechten Schlüsselbeines und der ersten rechten Rippe, eine Fraktur des Nasenbeins mit Eindrückung des linken Anteils der Nasenbeinpyramide sowie Prellungen und Blutunterlaufungen im gesamten Kopf- und Gesichtsbereich. "Ich habe eine lange Physiotherapie gemacht. Durch Übungen geht es mir körperlich gut", erläuterte der Zeuge. In psychischer Hinsicht sieht es anders aus. Beim U-Bahn-Fahren verspüre er "oft tiefes Unbehagen. Ich muss damit leben lernen. Ich glaube, das wird mir auf lange Sicht auch gelingen".
Zurechnungsfähig, aber ...
Der gegen den 63-Jährigen gerichtete Gewaltexzess hörte erst auf, als ein anderer Fahrgast eingriff und den Täter zur Seite schob. Ein im Ermittlungsverfahren eingeholtes psychiatrisches Gutachten bescheinigt dem jungen Mann eine kombinierte Persönlichkeitsstörung, sodass die Staatsanwaltschaft zusätzlich zur Verurteilung die Unterbringung des Angeklagten in einem forensisch-therapeutischen Zentrum beantragt hat. Der 21-Jährige ist laut Gutachten zwar zurechnungsfähig, aber infolge seiner Persönlichkeitszüge als derart gefährlich anzusehen, dass ohne haftbegleitende therapeutische Maßnahmen neuerlich mit Straftaten mit schweren Folgen zu rechnen ist.
Weitere Gewalttaten
Die Gefahr, die von dem aus schwierigen familiären Verhältnissen stammenden Mann – er wuchs fremduntergebracht auf, hat keine Ausbildung abgeschlossen und war zuletzt ohne feste Bleibe – ausgeht, manifestiert sich auch darin, dass drei weitere Gewalttaten von der Anklage mitumfasst sind. Der Mann hatte schon am 29. und am 31. Dezember aus nichtigem bzw. ohne erkennbaren Anlass zwei Männer mit Faustschlägen attackiert und beiden die Nase gebrochen. Der eine hatte ihm keine Zigarette gegeben, der andere war einfach an einer Bushaltestelle gestanden. Am 10. Jänner erschien er beim Arbeitsplatz seiner Ex-Freundin und verlangte eine Aussprache. Als ihn der Chef der Frau wegschickte, weil diese den 21-Jährigen nicht sehen wollten, bekam er einen Faustschlag ins Gesicht.
Sachverständige
"Das sind vier Fälle vollkommen sinnloser Gewalt, die abscheulich ist. Für einen normalen Menschen ist das nicht nachvollziehbar", bemerkte Verteidiger Fouchs. Der 21-Jährige verwies darauf, dass er mit 16 mit dem Rauchen von Marihuana begonnen habe, im Vorjahr habe er dann Kokain, Ecstasy und LSD genommen. Daher habe er "Filmrisse" und könne sich an Vieles nicht mehr erinnern.
Die Verhandlung wird am Mittwoch fortgesetzt. Am zweiten Verhandlungstag kommen der gerichtsmedizinische und der psychiatrische Sachverständige zu Wort.