Franz Welser-Möst musste ja wegen einer akuten orthopädischen Erkrankung kurzfristig passen. Philippe Jordan hieß der ideale Einspringer, hatte der 48-jährige Schweizer doch schon im Juni 2021 an der Wiener Staatsoper für einen musikalisch so markanten wie schlüssigen „Macbeth“ gesorgt. Der gelingt ihm jetzt auch bei den Salzburger Festspielen vollends, wo er mit den souveränen und zu allen Farben und Schattierungen fähigen Wiener Philharmonikern und der hoch präsenten, riesig besetzten Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor (Einstudierung: Jörn Hinnerk Andresen) das gleiche Dream Team zur Verfügung hat. Viel Gespür für scharfe, gnadenlose Passagen bis zu melancholischer Trauer, für kammermusikalische Ziselierungen bis zu pastoser Klangwucht, dazu ein sensibles Echolot für den musikalischen Tiefgang: Giuseppe Verdi hätte Jordans Deutung seiner Lieblingsoper wohl sehr goutiert.
Ein Traumteam bildet auch das grausamste Paar der Operngeschichte: Asmik Grigorian darf nach dem Salzburg-Jubel für ihre Salome (2018) und ihre Chrysothemis in „Elektra“ (2020) von Richard Strauss sowie für alle drei Hauptrollen in „Il trittico“ von Giacomo Puccini (2022) ein weiterer Lorbeerkranz gebunden werden. Die litauische Ausnahmesopranistin liefert ein intensives Psychogramm der Lady Macbeth, ist in ihrem Rollendebüt stimmlich bei Lyrismen wie Attacken gleich packend und überzeugt auch darstellerisch immens. Ein Ereignis, wie auch Vladislav Sulimsky, erstmals als Macbeth: Der belarussische Bariton weiß genauso gut aufzutrumpfen wie seiner Figur die Brüchigkeit zu geben für eine facettenreiche Charakterzeichnung. Der 46-Jährige hat sich damit die Tore für weitere Festspielproduktionen bestimmt weit geöffnet. Tareq Nazmi als Banco und Jonathan Tetelman als Macduff unterstreichen mit imposanten Vorstellungen das insgesamt hohe Niveau der restlichen Besetzung.
Im Graben ein Funkeln. Gesanglich ein Funkeln. Und Krzysztof Warlikowski sorgt für den Brillantschliff des Opernjuwels, das in Wahrheit natürlich von der finstersten Nacht des Menschseins erzählt. Der Tod ist ein Meister aus Schottland in diesem Drama nach William Shakespeare. Und die Todesfuge hebt an, als dem Feldherrn Macbeth von Hexen prophezeit wird, dass er einmal schottischer König sein werde. Beeinflusst von den Einflüsterungen seiner machtgierigen Frau, geht er buchstäblich über Leichen, bis die beiden – von Schuldgefühlen gepeinigt – zu Opfern ihrer eigenen Herrschsucht werden und dem Wahnsinn verfallen.
Wie der polnische Regisseur deren Höllenfahrt zeigt, sucht seinesgleichen. Im raffinierten Bühnenbild seiner Frau Malgorzata Szczesniak (auch Kostüme) nutzt er für die Erzählung auch stimmig Multimediales von Live-Videos bis zu Filmzitaten aus Pasolinis „Il vangelo secondo Matteo“ und „Edipo Re“; in Letzterem befürchtet ein Vater, ein Offizier, dass der von seiner Frau gestillte Sohn ihm die Liebe stehlen könnte. Macbeth wiederum fürchtet sich vor den Prophezeiungen der Hexen, er werde zwar ein großer Herrscher, aber die Kinder des Generals Banco werden ihm dereinst den Thron streitig machen, den er zuvor nur durch Königsmord besteigen könne.
So tragen denn auch zahlreiche Kinderstatisten in der Inszenierung wesentliche Momente, wenn Krzysztof Warlikowski die Grausamkeit des Herrscherpaars nicht nur in einer Eingangsszene der Lady Macbeth beim Gynäkologen aus deren (gewollter?) Kinderlosigkeit zu erklären versucht. Die Cinemascope-Breite des Festspielhauses nutzend, lässt der 61-jährige Regisseur in einem Setting aus den 1930-Jahren (eventuell) in Italien in den Abgrund des Unmenschlichen schauen, das vielleicht trotz aller Blutspuren und allen Unheils doch nur allzu menschliche Gründe hat.
Große Oper, großes Kino, großer Jubel. Die Salzburger Festspiele haben zweifellos bereits ihren Saisonhöhepunkt.
Michael Tschida