Tschechiens amtierender Regierungschef Petr Fiala hatte eine illustre Runde eingeladen: Zum 30. Jahrestag der Selbständigkeit Tschechiens versammelte er um sich alle seine Amtsvorgänger. Darunter auch Václav Klaus und Miloš Zeman, die in dieser Zeit nicht nur Ministerpräsidenten waren, sondern auch Staatspräsidenten.
Das Foto des Abends zeigt, dass im neuen Tschechien bisher ausschließlich Männer das Sagen hatten. Bei den Damen auf dem Bild handelte es sich durchweg nur um deren Ehegattinnen. Eine Frau hat sich auch noch nie ernsthaft um höchste Posten im Nachbarland beworben. Kein Wunder: Sie wäre chancenlos geblieben. Tschechiens Gesellschaft ist eine Macho-Gesellschaft.
Sind diese Zeiten vorbei?
Doch damit scheint es vorbei zu sein. Viele Tschechen haben mit Begeisterung verfolgt, wie in der benachbarten Slowakei die einstige Rechtsanwältin und politische Seiteneinsteigerin Zuzana Čaputová seit ihrer Wahl zur Präsidentin für Furore sorgte. Wann immer die Tschechen Čaputová mit ihrem eigenen Präsidenten Zeman verglichen, kam der sehr schlecht dabei weg.
"Vor allem die jungen Tschechen sind es leid, dass sie nach zehn Jahren Klaus auch noch zehn Jahre Zeman auf der Burg ertragen mussten", analysierte eine große Prager Zeitung. "Sie wollen endlich Leute in Spitzenämtern sehen, die die Gesellschaft einen statt spalten, die aufgeschlossen für Neues sind und für die sie sich im Ausland nicht schämen müssen." Die Parlamentswahl hat einen ersten Wechsel gebracht, hin zu einer Regierung mit einem weithin geachteten Premier Fiala. "Mit dem Ende der Ära Zeman auf der Burg Anfang März könnte endlich der ganz dicke Schlussstrich unter die 'Nachwendezeit' in Tschechien gezogen werden", sagen Politologen.
Wären nur Schüler und Studenten ab dem Alter von 15 Jahren wahlberechtigt, dann würde die vermeintliche "tschechische Čaputová", Danuše Nerudová, die Präsidentschaftswahlen schon im ersten Durchgang gewinnen. Die 44-jährige Ökonomin, die von 2018 bis 2022 Rektorin der Universität Brno (Brünn) war, bekam bei den "Studentenwahlen" mehr als 54 Prozent der Stimmen.
Nerudová vertritt sozialliberale Ansichten, unterstützt die Ehe für alle und steht klar zur Westausrichtung des Landes und gegen Russlands Ukraine-Krieg. Ihr schwebt mehr Solidarität innerhalb der Gesellschaft vor, vor allem mit den wirklich Bedürftigen.
Nerudová ist zu jung, um vor der "Wende" mit der Kommunistischen Partei oder der Stasi verbandelt gewesen zu sein. Gänzlich weiß ist ihre Weste aber nicht: Die Uni in Brünn war eine Zeit lang bei Ausländern beliebt, um sich einen Doktortitel zu "erkaufen". Nerudová soll zu spät dagegen eingeschritten sein.
In den Umfragen liegt sie vorne
Seit Wochen ist Nerudová in den Umfragen Teil eines Dreikampfes. Mit ihr gleichauf liegen der frühere Premier Andrej Babiš und der einstige Armee-General Petr Pavel.
Pavel (63), ein schneidiger Typ mit weißem Haar und gestutztem Bart, blickt auf einen 40-jährigen Dienst in der Armee zurück, bis hoch zum Chef des Generalstabs. Als erster Offizier aus dem früheren Ostblock schaffte er es bis zum Vorsitzenden des Militärausschusses der Nato. Pavel möchte den Tschechen gern ein bisschen mehr Ordnung und Disziplin beibringen, was sich aus seiner Armeezeit erklärt. Dass er in der Kommunistischen Partei war, führt er auf sein Elternhaus zurück. Auf seine Kariere habe das keinen Einfluss gehabt, sagt er und fügt hinzu: "Ich habe die ‚Wende‘ als Befreiung betrachtet."
Andrej Babiš kennen die Tschechen am besten von allen Favoriten. Logisch, er war viele Jahre Premier, bis er bei den letzten Parlamentswahlen in die Opposition geschickt wurde. Das neue Amt würde ihm weitere Jahre strafrechtliche Immunität bescheren.
Mit Beginn des Jahres hat der "scharfe Wahlkampf" begonnen. Alles erinnert ein bisschen an "Tschechien sucht den Superstar". Wie dort wird auch hier bei TV-Auftritten entschieden werden, ob das Land einen Burgherren oder erstmals eine Burgdame bekommt.
Hans-Jörg Schmidt (Prag)