Russland erleidet weiterhin schwere Verluste im Ukraine-Krieg. Die Zahl der bei einem ukrainischen Raketenangriff auf ein Gebäude in der ostukrainischen Stadt Makijiwka getöteten russischen Soldaten wurde vom Kreml auf 89 nach oben korrigiert.
Die russische Regierung macht ihre durch ukrainischen Beschuss in einer Kaserne getöteten Soldaten für den Angriff mitverantwortlich. Es sei bereits offensichtlich, dass der Hauptgrund für das Geschehen die verbotswidrige, massive Nutzung von Mobiltelefonen durch die Soldaten in Reichweite feindlicher Waffen gewesen sei, teilte das Verteidigungsministerium am Mittwoch mit. "Dieser Umstand ermöglichte es dem Feind, die Koordinaten des Standorts der Soldaten aufzuspüren und für einen Raketenangriff zu nutzen." Das Ministerium spricht von mindestens 89 Toten durch den Beschuss, bisher war von mindestens 63 die Rede gewesen. Russland hat seit seinem Einmarsch in die Ukraine nur selten größere Verluste eingeräumt. Nach ukrainischen Angaben wurden bei dem Angriff Hunderte russische Soldaten getötet.
Generalleutnant räumt Fehler ein
Auch der russische Generalleutnant Sergej Sewrjukow räumte erstmals Fehler ein und bestätigte damit Medienberichte. Demnach war der Hauptgrund für die "Tragödie", dass die Soldaten in der Neujahrsnacht trotz eines Verbots massenhaft ihre Mobiltelefone benutzt und damit die ukrainische Seite auf ihren Standort aufmerksam gemacht hätten. Die Untersuchungen liefen zwar noch, aber so viel zu den Hintergründen sei schon klar, sagte Sewrjukow. "Dieser Faktor hat es dem Gegner ermöglicht, die Richtung zu bestimmen und die Koordinaten der Lage der Soldaten orten, um den Raketenschlag zu vollziehen." Gegenwärtig werde dafür gesorgt, dass sich das nicht wiederhole. Zudem würden die schuldigen Diensthabenden zur Verantwortung gezogen.
Das russische Verteidigungsministerium erklärte, der Angriff sei mit Himars-Raketensystemen erfolgt, die die USA an die Ukraine geliefert hätten. Diese Systeme ermöglichen dem ukrainischen Militär, tiefer in von Russland besetzten Gebieten anzugreifen. Den Waffen wird eine Reihe von militärischen Rückschlägen Russlands in den vergangenen Monaten zugeschrieben. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Westen nach neuen russischen Raketenschlägen aufgerufen, die Verteidigungsfähigkeit seines Landes zu stärken.
Russland werde nichts unversucht lassen, um für sich eine Wende in dem Krieg zu erreichen und eine Niederlage zu vermeiden. "Wir müssen dieses Szenario der Russen zerstören", sagte Selenskyj. "Die Terroristen müssen verlieren." Russland werde neue Reservisten mobilisieren, die es in den Tod schicke, meinte er. Die Ukraine wiederum müsse die zivilisierte Welt mobilisieren. Der 44-Jährige verurteilte in seiner Ansprache auch den russischen Raketenschlag gegen das Eisstadion "Altair" in Druschkiwka im Gebiet Donezk, wo auch Kinder trainiert hätten. Die Menschen hätten das Stadion lange als Ort der Freude erlebt. Die Zerstörung sei ein neuer Beweis dafür, dass Russland ein Terrorstaat sei.
Unterdessen kommt in Russland massive allgemeine Kritik an der Militärführung auf – vor allem im Internet und auch von Nationalisten, die Moskaus Einsatz in der Ukraine befürworten. Mehrere russische Militärkorrespondenten – deren Einfluss im Land zuletzt gewachsen ist – sprachen von Hunderten möglichen Opfern. Sie warfen ranghohen Militärkommandanten vor, nicht aus früheren Fehlern gelernt zu haben. Es gab zudem Berichte, wonach die Soldaten in der Nähe eines Munitionsdepots einquartiert wurden, welches bei dem Angriff explodierte.
Semjon Pegow, ein prominenter russischer Kriegsberichterstatter, der Ende 2022 vom russischen Präsidenten Wladimir Putin mit dem Tapferkeitsorden ausgezeichnet worden war, stellte am Mittwoch ebenfalls die Handy-Argumentation des Verteidigungsministeriums infrage. Die Ukraine hätte die Soldaten auch mithilfe von Drohnen und Nachrichtendiensten orten können, nicht unbedingt durch Mobiltelefone, schrieb er auf Telegram. "Die Geschichte mit den 'Handys' ist nicht sehr überzeugend. (...) Ich sage das selten, aber in diesem Fall wäre es wahrscheinlich besser zu schweigen, zumindest bis zum Ende der Ermittlungen. So sieht es aus wie ein Versuch, die Vorwürfe wegzuwischen." Der Großteil der Kritik im Internet richtet sich dabei gegen die militärischen Befehlshaber und nicht gegen Präsident Putin. Dieser hat sich nicht öffentlich zu dem Angriff geäußert. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Angriff bisher ebenfalls nicht erwähnt.
Kriegsherr Putin schweigt bislang
Russlands Präsident Putin äußerte sich bisher nicht öffentlich zu dem Raketenangriff in Makijiwka. Der Kreml ließ am Dienstag lediglich wissen, dass er Verteidigungsminister Sergej Schoigu beauftragt habe, einen Bericht über den Zustand der Ausrüstung russischer Streitkräfte in der Ukraine und mögliche Maßnahmen zu deren Verstärkung zu verfassen.
Zudem ordnete Putin demnach das Verteidigungsministerium an, russischen Filmemachern bei der Produktion von Dokumentarfilmen über den Überfall auf die Ukraine und den Kampf gegen "Neonazi"-Ideologie zu helfen. Die Filme sollten dem "Heldentum der an der militärischen Spezialoperation Beteiligten" gewidmet sein, hieß es unter Verwendung der offiziellen russischen Bezeichnung für den Angriff auf die Ukraine.