Wenige Tage vor dem Abflug in die USA wurde aus dem Zweier ein Dreier – alles Gute zum 30. Geburtstag. Gibt’s eine Midlife-Crisis?
CORNELIA HÜTTER: Nein, ich habe kein Problem. Ich habe nur den 18. Geburtstag richtig gefeiert, weil man sich halt zu diesem Zeitpunkt denkt, man sei erwachsen, die Welt steht einem offen. Aber letztlich ist das Alter ja nur eine Zahl.
Aber oft ist ein runder Geburtstag Zeit zum Nachdenken, zu rekapitulieren, oder?
Die Verletzungen haben mir genug Zeit gegeben, zu reifen. Um meine Persönlichkeit, mich selbst zu finden – und ja, sie haben mich erwachsen gemacht. Nicht der 30. Geburtstag.
Wenn Sie sich gefunden haben: Wie charakterisieren Sie sich denn nun selbst?
Definitiv ruhiger als früher. Ich bin angekommen, kenne meine Stärken und Schwächen, meinen Körper und weiß, wie ich mit ihm umgehen muss. Die letzten Jahre haben mich zu mir gebracht – dahin, wo ich jetzt bin. Und damit bin ich voll und ganz zufrieden.
Was soll noch kommen?
Ein guter Winter, hoffe ich – und zuerst einmal Schnee! Es ist um diese Zeit immer spannend, jeder spricht dich an und fragt, wie du drauf bist. Alles Dinge, die einen selbst beschäftigen. Daher heißt es: Die letzten Trümmer zusammensuchen – und los geht’s.
Kann man die Frage danach, wie gut man ist, selbst vernünftig beantworten?
Das Training in Chile, bei dem ich erstmals nach drei Jahren wieder mitfahren konnte, hat mir Sicherheit gegeben. Ich konnte wieder am Set-up tüfteln, musste nicht zuerst mich und mein Vertrauen auf Ski finden. Ich konnte wieder probieren, das macht mir Spaß – ich will mich ja weiterentwickeln. Ich hoffe, ich kann nun beim Training in Copper Mountain an das anknüpfen, was ich mir im September erarbeitet habe.
Sie haben aber schon letzte Saison wieder gesiegt. Wie wichtig war es, zu wissen, dass man es noch kann?
Wenn du dich verletzt, ist es immer ein Weltzusammenbruch. Aber nach den ersten Schritten zurück vergisst man schnell. Der Gedanke, ob ich noch schnell sein kann, war aber auch in meinem Kopf. Bis ich mir gesagt habe: ‘Du musst keinem beweisen, dass du schnell sein kannst. Wenn es nicht geht: kein Problem.’ Denn ich hatte nichts zu verlieren.
Wie lange braucht man, bis man sich wieder alles traut?
Es ist nie mehr gleich wie vor einer Verletzung. Das Kopfkino kann man auch mit viel Mentaltraining nicht ausschalten, aber man kann die Emotionen löschen. Ich kann heute anschauen, wie es mich aufhaut, ohne Gefühlsausbrüche zu haben. Aber es gibt noch Tage, wo es in der Früh zäh ist, wo man nachdenkt. Wenn das dann ein Renntag ist, ist es wirklich zäh. Ich kann ja im Ziel nach dem Rennen kein Interview geben und sagen: Ich hab’ mich heut schlecht gefühlt ...
Warum nicht?
Weil Skifahren meine Arbeit ist! Ich muss liefern, einen Weg finden, diese Sorgen zu bewältigen. Ich fahre mich dann öfter ein, schaue mir Videos von guten Fahrten an, um die schlechten Gedanken, die menschlich sind, in den Hintergrund zu packen, um das Schöne am Skifahren hervorzuholen. Das gab es früher nie, insofern ist es ein Unterschied nach den Verletzungen. Aber je öfter man dann schöne Tage hat, desto seltener denkt man daran, dass etwas passieren könnte.
Dann gibt es etwa Sofia Goggia, die immer wieder über dem Limit ist, Kopf und Kragen riskiert – und Erfolg damit hat. Was denkt man da?
Ich habe mich schon auch gefragt, wie man es so machen kann wie sie. Aber letztlich führen viele Wege nach Rom. Sie geht den riskanten Weg, das habe ich auch lange gemacht – Vollgas riskiert, aber dann technisch unsauber. Jetzt will ich mich technisch weiterentwickeln. Ja, du brauchst Mut. Aber die paar Zehntel, für die man sinnlos riskiert, die kann man auch mit Technik gutmachen. Man muss auch einmal g’scheit sein, zwischendurch.
Und doch ist man dann oft Zweite – eben hinter einer Goggia, einer Shiffrin, ...
Das sind eben Ausnahmetalente. Wie oft war ich Vierte, als ich in den Weltcup kam – hinter Lindsey Vonn, Tina Maze, Anja Pärson ... das sind und waren Kapazunder, da war der erste Platz eben "besetzt"; so wie bei den Männern mit Marcel Hirscher. Was soll eine Wendy Holdener sagen? Eine unglaubliche Skifahrerin, aber da sind eben Shiffrin und Vlhova. Deswegen ist sie aber sicher nicht schlecht. Das Problem ist: Wir sind in Österreich im Skisport sehr erfolgsverwöhnt. Und wir wissen selbst: Wenn du nicht Erste bist, bist du eben nicht auf der Titelseite.
Wie geht man damit um?
Manchmal ist es schon schwierig. Dann, wenn du dich über einen fünften Platz richtig taugst und dann merkst du, dass du "halt Fünfte" geworden bist. Man muss sich ein Schutzschild aufbauen. Da ist die Sportlerin, dort der Mensch mit seinen Freunden. In meinem Fall eine, die gerne daheim ist, mit ihren Pferden arbeitet und das alles. Du musst trennen. Zwischen der, die im Ziel steht und der, die ich wirklich bin. Sonst wirst du ja selbst gleich emotional.
Apropos Emotionen: Sie haben heuer Ihren "Lebensmittelpunkt verändert". Das heißt?
Das heißt, dass ich wieder daheim wohne, in Kumberg. Mein Freund Christian Walder (Skifahrer) und ich haben uns getrennt. Es war eine schöne gemeinsame Zeit, aber Wege trennen sich mitunter, irgendwann ist es Zeit für etwas Neues. Wir sind so auseinandergegangen, dass wir gut miteinander reden können, aber eben keine Beziehung mehr haben.
Sollen wir jetzt hier eine Kontaktanzeige starten?
Nein, danke, definitiv nicht! Ich bin glücklich und zufrieden, so wie es gerade im Moment ist. Und wie das ist, das ist meine Sache. Privat ist privat und soll's auch bleiben.
Rein logistisch liegt Kumberg nun aber für eine Skisportlerin nicht gerade ideal?
Stimmt, es ist eher dezentral. Ich habe mir aber in Innsbruck eine Basis geschaffen, damit ich nicht für zwei Tage daheim fünf Stunden in eine Richtung fahren muss. Aber es tut mir auch gut, daheim zu sein. Hier fühle ich mich wohl, kann eben sein, wie ich bin. Es war auch in Kärnten bei Christian schön, keine Frage. Aber hier habe ich meine Pferde, meine Tiere. Das gibt mir viel. Ich habe diesen Sommer so viel Zeit draußen verbracht, war etwa mit dem Pferd laufen. Alleine und doch nicht einsam, sozusagen. Manchmal braucht es eine Umstrukturierung.
Auch im ÖSV wurde viel umstrukturiert, auch im Damen-Team – wird da jetzt die Welt neu erfunden?
Es war spannend und interessant, was da alles passiert ist, wie Leute, die von der Materie relativ weit weg sind, geurteilt haben. Da wissen viele ja gar nicht, wie es der Einzelnen geht, was wir trainiert haben. Da musste ich schmunzeln und habe auch gewisse Aussagen und Entscheidungen nicht in Ordnung gefunden. Aber es hat danach offene Gespräche gegeben, das finde ich gut.
Worüber musste man reden?
Christian Mitter war ein richtig guter Cheftrainer – obwohl ich ihn als "Teilzeitskifahrerin" nur eineinhalb Jahre mitbekommen habe. Ja, manchmal gehören Veränderungen her. Aber teilweise überrumpelt zu werden, über Systeme und Strategien drüberzufahren, das geht einfach nicht. Und jetzt ist ziemlich viel anders. Die, die uns als Gruppe kennen, wissen, wie wir ticken: Und wir haben gesagt: Wir wollen miteingebunden werden, auch wenn es gut ist, wenn gewisse Dinge von Athletinnen und Athleten weggehalten werden. Es ist rund um den Wechsel nicht alles rund gelaufen. Aber es hat dann viele Gespräche gegeben und jetzt passt alles.
Und es ist ja wohl nicht so, dass da mit Alex Hödlmoser ein neuer Trainer kommt, der was sagt und alle sind mit einem Schnipp eine Sekunde schneller, oder?
Das habe ich vorher mit dem System gemeint. Es braucht Zeit, um Erfolge zu sehen. Das ist ein Prozess, der kann zwei, drei Jahre brauchen, das geht nicht in einem Monat. Manche stellen sich das wohl zu leicht vor. Alles über den Haufen zu hauen und dann hat Österreich wieder zehn Seriensieger: Das weiß jeder, dass das nicht funktionieren kann. Aber: Es geht jetzt definitiv wieder in die richtige Richtung, manchmal braucht es halt Umwege.
Was hat sich denn nun geändert?
Ich habe selbst noch nicht alles durchblickt. Ich sage aber so: Wenn es die skandinavische Art von Christian Mitter war, mit dem Team zu sprechen und uns als Team weiterzubringen, dann hoffe ich, dass das auch die neue österreichische Strategie ist. Das Zwischenmenschliche hat gepasst, du warst nicht einfach nur die Person, die runterfährt. Und bei zehn Mädels muss auch das passen, da geht es nicht nur darum, schnell von A nach B zu kommen. Wenn man 200 Tage im Jahr unterwegs ist zusammen, dann bringt es nichts, sich die Köpfe einzuschlagen. Die Gruppe ist wichtig, auch unsere Strategie, also die der Dirndln. Wenn wir das weiterführen, mit den neuen Trainern zusammenführen, dann wird das aber sicher ein cooler Winter.