Der Casting-Aufruf zum Film über Josefine Mutzenbacher war schlicht: „Gesucht werden männliche Mitwirkende zwischen 16 und 99 Jahren. Dreherfahrung nicht vorausgesetzt“, hieß es in einer Annonce. 150 Männer meldeten sich, rund die Hälfte erhielt eine Einladung auf die abgewetzte rosa Couch. Assoziationen zur Tradition der „Besetzungscouch“ im Film- und Theater-Business sind offensichtlich.
Der Auftrag: Texte aus dem 1906 anonym publizierten und bis heute wegen seiner pornografischen Darstellungen mit einer Minderjährigen kontrovers diskutierten Roman “Josefine Mutzenbacher oder Die Geschichte einer Wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt” zu lesen. Es blieb nicht dabei, denn die schlagfertige Interviewerin Ruth Beckermann verwickelt die Burschen und Männer in Gespräche über Sexualität, Intimität, Pornografie, Männlichkeitsbilder, Tabus, Ängste, Scham, Übergriffe, Erregung und Erotik. Daraus entsteht ein vielschichtiger Blick auf Männlichkeit. Es sind die spannendsten Augenblicke dieser kurzweiligen, amüsanten und u.a. auf der Berlinale mit dem „Encounters“-Preis ausgezeichneten Doku.

Mit Lupe, Brille, Verhasplern, Ekel, schelmischem Grinsen oder mit abstoßendem Blick lesen die Männer vor, auch ihre Auftritte und wie sie auf diese Couch zum Sitzen kommen, sind Teil der Inszenierung. Manchmal spaziert auch ein Kamera- oder Tonmann bei den Aufnahmen in der Wiener Sargfabrik dazwischen. Sie sind viele: Aktfotografen, Gymnasiasten, Intellektuelle, Provinzler, Zugewanderte, Queere oder Alt-Hippies. In gemeinsamen Chorszenen artikulieren sie u.a. die vielen Ausdrücke im Wienerischen für Geschlechtsverkehr: Remm’ln, Bims’n, Stemmen.


Eines vorweg: So offen wie hier haben Vertreter der Tennie- bis Opa-Generation im Kino vielleicht noch nie über Sex geredet. „Mutzenbacher“ ist ein Glücksfall von einem Film. Und ein Beleg dafür, dass Männer doch über ihre Gefühle sprechen können: ehrlich, beherzt, euphorisch, humorvoll.


Der Dokumentarfilm zeigt, was das Austro-Kino mit originärem Stoff zu leisten imstande ist – für Gesprächsstoff zu sorgen. Im besten Falle zwischen den Geschlechtern. Und zwar weit über den Abspann zum Song „Bananen & Citronen“ von Valie Export und Ingrid Wiener hinaus. Bis 1968 war der Roman, der unter der Hand Jahrzehnte weitergereicht wurde, verboten. In Deutschland stand er bis 2017 auf dem Index jugendgefährdender Schriften. Gleichzeitig gilt er als pornografische Literatur von Weltrang – auch das eine Erkenntnis der Re-Lektüre.