Darstellerpreis in Cannes, bejubelte Premieren in München und Wien, ein weltweiter Verleih: Ist „Corsage“ nun die Krönung?
MARIE KREUTZER: Ich hoffe nicht, dass das schon die Krönung war, ich will noch einige Filme machen und mir nicht den Rest meines Berufslebens anhören, dass ich den Erfolg von „Corsage“ nie mehr erreicht habe. Es ist aber schön, mit einem Film so viel Liebe und Anerkennung zu bekommen. Das gelingt nicht immer, es ist mir eigentlich so – im Kleineren – nur mit meinem ersten Kinofilm „Die Vaterlosen“ passiert.
Netflix-Serie, RTL-Projekt und noch ein Kinofilm binnen kürzester Zeit: Was bitte macht die Faszination der Figur Sisi aus?
Dass alles auf einmal passiert, ist ein bizarrer Zufall, da es keinen äußeren Grund wie einen Jahrestag gibt. Sie war schon zu Lebzeiten ein Mythos, weil sie sich nicht viel in der Öffentlichkeit gezeigt hat. Durch die Filme von Ernst Marischka hat die ganze Welt ein Bild von ihr. Sie gibt eine tolle Projektionsfläche ab – wie Lady Diana. Die unglückliche, schöne Frau in ihrem goldenen Käfig – die Leute lieben solche Geschichten.
Wo hat dieses Großprojekt für Sie seinen Anfang genommen?
2016 waren wir auf Kino-Tour zu meinem Film „Was hat uns bloß so ruiniert“ und da kam Vicky Krieps mit der Idee auf mich zu. Jahre später habe ich zu recherchieren begonnen. Dann kam ein Buch, inzwischen ist es vergriffen, in dem es um sie als ältere Frau von 40 bis zu ihrem Tod geht. Vieles daran war neu und spannend für mich und – bis auf einige Klischees – noch nicht erzählt.
Wie intensiv war die Recherche über das Umfeld bei Hof?
Es gab Gespräche mit Expertinnen und Experten. Wir hatten Führungen durch die Hofburg, damit sich alle ein Bild von den Kaiserappartements machen konnten. Alle Kleindarsteller und Dienerinnen wurden aufs Hof-Zeremoniell eingeschult, es gab ein Probe-Essen an einer Tafel. Diese Regeln, und wie selbstverständlich sie eingehalten wurden, fand ich spannend. Bei Proben mit den Zofen erklärte eine Hof-Expertin, das Wichtigste für eine Zofe sei, unsichtbar zu sein. Das war eine Superspur für die Schauspielerinnen, möglichst wenig aufzufallen. Bis heute weht in den Königshäusern ein anderer Wind. Die Hierarchien sind absurd.
Von Heroinkonsum bis Doubles: War es Ihre Intention, mit dem Mythos um Sisi aufzuräumen?
Es kommt nicht aus dem Nichts, hat den Ursprung in Fakten, wurde aber von mir weitergesponnen oder anders erzählt. Tatsächlich hat sie sich ein- oder zweimal doubeln lassen von einer ihrer Hofdamen, weil sie nicht mehr hinausgehen wollte. Und sie hat Kokain als Medikament konsumiert. Ich wollte nicht nur von einer traurigen, melancholischen, armen Frau erzählen, sondern von einer, die widerständig ist und immer widerständiger wird. Von einer, die auch unbequem für ihr Umfeld ist. Und von einer, die nicht weiß, ob sie diese Rolle noch spielen kann oder will.
Es gibt unter anderem eine Masturbationsszene. War es Ihr Ziel, Sisi als selbstbestimmte Frau zu zeichnen?
Mich hat interessiert, dass sie so widersprüchlich und schwierig war. Sie war unbequem, aber auch klug und reflektiert. Und sie hat sehr genau beobachtet und viel über das Leben bei Hof notiert. Sie ist auch viel gereist, hat sich aus offiziellen Anlässen weggestohlen und sich davon befreit. Sie war eine Frau, die sich nicht damit zufriedengegeben hat, an dieser Position zu sitzen und schön angezogen zu sein. Das habe ich in diese Geschichte der Selbstermächtigung gepackt – aber nicht mit dem Ziel, zu provozieren oder alles anders machen zu wollen.
Wie wichtig sind die Kostüme?
Wir hatten ein Riesen-Kostümatelier. Es gab einen Raum, in dem waren nur Fracks. Ein anderer nur mit Miedern. Kostümbildnerin Monika Buttinger hat genauestens den Stil recherchiert. Sie wusste, welche Kleider damals getragen wurden. Wir haben uns immer wieder darüber hinweggesetzt und etwas erzählt, was der damaligen Mode nicht entsprochen hat, haben Rüschen und Knöpfe weggelassen. Mir war wichtig, dass die Silhouette im Vordergrund steht. Das Mieder war ein fixer Bestandteil des Films.
Vicky Krieps hat in Interviews betont, wie sie im eng geschnürten Korsett gelitten hat.
Wir haben unterschätzt, wie anstrengend das für sie wird und dass das auch so viel mit einem macht: physisch und psychisch. Sie hat gesagt, es mache sie traurig und sie fühle sich darin nicht gut. Ich glaube, es hat damit zu tun, dass man nicht so tief in den Bauch atmen kann.
Im Abspann finden sich sehr viele Reitställe. Wie war die Arbeit am Set mit den vielen Tieren?
Mit den Pferden war es nicht so schwierig, die waren sehr gut dressiert. Vicky konnte auch schon reiten, aber sie hatte noch viele Stunden, um den Damensitz zu lernen. Für alle, die geritten sind, brauchte es Doubles. Es war ein Riesen-Apparat. Mehr Nerven haben mich allerdings die Hunde gekostet. Ich wollte immer unbedingt Hunde haben, weil sie von ihnen umgeben war. Ich fand das ein schönes, organisches Bild. Die Hunde waren immer bei ihr, am Bett, und über sie hat sie sich eine Nähe geholt, die sie anders nicht bekam. Sie waren wie ihre Schatten. Die Hundeszenen waren für das Team die schwierigsten und es gab die meisten Takes von ihnen.
Ihr Mann, Szenenbildner Martin Reiter, und Ihre Tochter Rosa wirkten ebenso mit – ein Film wie ein Familienbetrieb?
Mein Mann und ich arbeiten fast immer zusammen und meine sowie Vickys Tochter hatten zusammen eine kleine Szene und waren einen Tag am Set. Dauernd hätte ich das schwer ausgehalten, sie haben viel mit mir diskutiert. Und da bemerkte ich, wie plötzlich das ganze Team um mich herum still wurde und zuhörte. Weil am Set würde sonst niemand so mit mir reden wie meine Tochter. Das hat alle amüsiert.
Welches Projekt folgt auf Sisi?
Dadurch, dass „Corsage“ und der „Landkrimi: Vier“ so verschränkt waren, hatte ich keine Zeit zum Schreiben. Ich habe zwei Ideen für Drehbücher. Normalerweise weiß ich, was ich als Nächstes mache, wenn ein Film fertig ist. Dieses Mal habe ich keine Ahnung. Das macht mir Angst, weil karrieretechnisch die Erwartung herrscht, dass das nächste Projekt größer sein sollte. Jetzt geht es nicht mehr größer. Vielleicht wird das nächste ganz klein.