Pünktlich zum Einlass hat sich die Sonne beim Nova Rock kurz blicken lassen: Um 15.20 Uhr öffneten sich am Donnerstag mit wetterbedingter Verspätung die Tore für rund 55.000 Fans, die allerdings zunächst nur die Partyzone betreten durften. Denn nach dem Starkregen wurde das Gelände noch emsig festivaltauglich gemacht. Eine Stunde später ging dann endlich KennyHoopla als Erster auf die Bühne, die neu gestylte Blue Stage. Das Publikum durfte nach zwei Jahren Pause wieder feiern.
Einige Auftritte mussten allerdings abgesagt werden, weil der Boden nicht mitspielte. Schaufellader legten die Gehwege vom Matsch frei, vor den Bühnen wurde Stroh aufgelegt. In Nickelsdorf hat es am Mittwoch und Donnerstagvormittag geschüttet. "Die Regenmengen haben den Ackerboden extrem aufgeweicht. Die Ankommenden wurden von der Security kurzfristig jeweils auf die bestmöglichen Parkplätze geleitet", berichtete ein Polizeisprecher.
Die Veranstalter hätten am Mittwoch noch alles unternommen und Schotter und Hackschnitzel auf dem Gelände verteilt, auf dem ein großes beleuchtetes Peace-Zeichen das Publikum begrüßte. Trotz der Umstände warteten die Gäste Donnerstagnachmittag geduldig auf den Einlass, die letzten Sekunden wurden lautstark heruntergezählt, die Entfernung der Sperrgitter bejubelt. Der Veranstalter hatte appelliert, Gummistiefel bzw. festes Schuhwerk und Regenschutz mitzubringen. Die meisten hielten sich zumindest was das Schuhwerk betrifft an den "Dresscode", in Sachen Oberbekleidung reichte die Palette von "oben ohne" über Regenmäntel bis zum Weihnachtsmann-Outfit.
Anstrengend kann das Festivalleben aber nicht nur für das Publikum, sondern auch die Musiker sein. "Wir spielen 19 Shows in 27 Tagen", sagte ein sichtlich müder Gavin Rossdale von Bush vor seinem Auftritt. "Aber die Tour ist großartig bisher." Seit bereits 30 Jahren ist er mit seiner Band im Geschäft. "Wenn man darüber nachdenkt, ist es eigenartig – als ob dir jemand die Zeit stiehlt", lachte der gebürtige Brite. "Ich fühle mich ja noch wie früher. Insofern kann ich es fast nicht glauben. Es ist einfach eine Ehre, immer noch Musik machen zu dürfen. Das schafft auch nicht jeder."
Aktuell arbeitet Rossdale an einem neuen Album, die erste Single sei schon fertig. Angesichts der derzeitigen Weltlage mit Pandemie, Krieg und Klimakrise könne man sich über mangelnde Themen jedenfalls nicht beklagen. "Gleichzeitig muss ich diese Dinge eigentlich nicht dezidiert ansprechen. Es ist ja nicht so, dass jemand darauf wartet, was ich dazu zu sagen habe", grinste der Sänger und Gitarrist. In einem neuen Song beschäftige er sich dennoch mit Frauenrechten und dem Klimawandel. "Wenn ich da singe 'Girls, you're in control', dann ist das genug. Ich bin sehr froh über diese Zuspitzung. Ich muss nicht vier Minuten lang darüber singen, das ist eher die Aufgabe von Bruce Springsteen." Das neue Material sei wie schon der Vorgänger "The Kingdom" (2020) wieder härter. "Es ist ein sehr aufregendes, modernes und offenes Album geworden. Man könnte auch sagen: Metrosexuelle Vocals auf einem Metaltrack", lachte Rossdale. "Manchmal bekommt man den Eindruck, dass es heutzutage ein Nischenprogramm ist, wenn man in einer Gitarrenband ist. Aber dann kommen 60.000 Menschen zum Nova Rock, um dich zu sehen." Über Streamingdienste, Playlisten und Algorithmen mache er sich keine Gedanken. "Chris, mein Gitarrist, spricht ständig darüber – als ob ich in einer Mathestunde bin", grinste Rossdale. "Aber wenn du Musik versuchst zu quantifizieren, dann klappt das nicht. Genauso wenig wie ein Zauberkasten, den du zu Weihnachten bekommst. Musik braucht einfach Herz!"
Gute Laune herrschte im Lager von Clawfinger: "Ich habe zwar keine Ahnung, wie wir durch den Gatsch zur Bühne kommen, aber schön, hier zu sein", lachte Jocke Skog, Keyboarder und Gitarrist der Crossover-Veteranen backstage bei einem Kaffee. Im Vergleich zu früheren Erlebnissen sei das hier ja alles kein Problem. "Wir hatten einmal einen Auftritt bei einem Festival, da konnte man von der Bühne nicht in den Garderobenbereich zurück, wenn es gerade keinen Traktor gab, der das Auto mit uns drinnen gezogen hat", erzählte der Schwede. "Kaum sind wir aus dem Auto gestiegen, sind wir im Schlamm versunken und man verlor einen Schuh. Und es regnete, regnete und regnete. Aus der Garderobe gab es kein Herauskommen mehr, weil alle Fahrzeuge stecken geblieben sind." Den großen Publikumszuspruch beim Nova Rock kann Skog "total nachvollziehen". "Alle sind froh, dass es wieder Konzerte gibt. Aber nicht nur das. Das Schöne an Festivals ist doch, dass man Leute trifft, die man wegen der Pandemie lange nicht gesehen hat." Das Nova Rock erlebt nach einer durch die Pandemie bedingten zweijährigen Pause einen Besucheransturm. Alle vier Tage zusammengerechnet werden 225.000 Gäste erwartet, die sich auf Acts wie Muse, Placebo, Seiler & Speer, Volbeat und Deichkind freuen dürfen. Die Veranstaltung ist damit ausverkauft.