In der Ukraine herrscht seit 100 Tagen Krieg. Ihre Heimat, Belarus, wurde von Putins Truppen als Aufmarschgebiet genutzt, um von dort aus die Ukraine von Norden her anzugreifen. Zugleich sitzen in Belarus immer noch Tausende, darunter ihr Mann Sergej und ihre Mitstreiterin Maria Kolesnikowa, im Gefängnis, weil sie von Lukaschenko Demokratie eingefordert haben oder gegen den Krieg gegen die Ukraine protestierten. Wie geht es Ihnen, wie geht es Ihrem Mann und Maria?
SWETLANA TICHANOWSKAJA: Es sind sehr schwierige Zeiten. Wir alle sind vor zwei Monaten in einer furchtbaren Realität aufgewacht. Die belarussische Opposition steht hier eindeutig auf Seite der Ukraine und unterstützt ihren Kampf. Die große Mehrheit der belarussischen Bevölkerung lehnt diesen Krieg Russlands gegen unser Nachbarland zutiefst ab. Das ist nicht nur ein Krieg Moskaus gegen die Ukraine. Das ist ein Krieg der Diktatur gegen die Demokratie, und wir können die Tyrannei nicht gewinnen lassen. Es würde Putin ermutigen, weitere Länder anzugreifen. Zugleich sehen wir, wie Lukaschenko, der immer noch die Staatsspitze von Belarus beansprucht, Putins Forderungen nichts entgegensetzt. Putin hat ihm nach den Wahlfälschungen und unseren Massenprotesten den Machterhalt gesichert; nun konnte Lukaschenko nicht verhindern, dass Moskaus Truppen unser Territorium nutzten. Lukaschenko ist nur noch eine Marionette Putins, der ihn am engen Halsband führt. Zugleich hat er in unserem Land selbst die Repression massiv verstärkt. Maria, mein Mann, aber auch die Tausenden anderen im Gefängnis versuchen dennoch, zuversichtlich zu bleiben.
Kürzlich hat Lukaschenko die Todesstrafe ausgeweitet, sie gilt jetzt auch beim Vorwurf des Terrorismus. Es fällt nicht leicht, Sie danach zu fragen: Machen Sie sich Sorgen, dass die beiden gefährdet sein könnten?
Maria haben sie von Anfang an Terrorismus vorgeworfen. Ob mein Mann jetzt schon auf der Liste steht oder nicht, ist unklar. Ich denke, in erster Linie geht es dem Regime darum, die Menschen einzuschüchtern. Aber deshalb ist es auch so wichtig, dass die westlichen Länder nicht aufhören, massiv Druck auf Lukaschenko auszuüben, die politischen Gefangenen freizulassen; dass es weiterhin Sanktionen gegen sein Regime und auch gegen Moskau gibt. Wird Putin geschwächt, wird auch Lukaschenko geschwächt.