Sie ist eine tickende, dahinrottende, 362 Meter lange Zeitbombe, mit enormem Potenzial zur ökologischen Katastrophe: Im Roten Meer vor der Küste des Jemen liegt auf einer fixen Seeposition die "Safer".
Der 1976 gebaute Öltanker ("Ultra Large Crude Carrier") wurde zuletzt als Ölübergabe-Terminal genutzt und hat 1,1 Millionen Barrel (174,9 Millionen Liter) Rohöl an Bord: Das ist fast das Vierfache jener Menge, die im Jahr 1989 von dem US-Öltanker "Exxon Valdez" unkontrolliert in das Meer vor Alaska floss und eine der größten Umweltkatastrophen der Seefahrt auslöste, warnen die Vereinten Nationen nun eindringlich.
Hochgefährlicher "Spielball" im Krieg
Akute Gefahr geht nun auch von der "Safer" aus – ihr Schicksal und ihr erbärmlicher Zustand haben einen politischen, kriegerischen Hintergrund: 2015 wurde das nach seinen Jahren auf den Weltmeeren seit 1988 nahe der jemenitischen Hafenstadt Hudaida festgemachte Schiff im Kriegsverlauf von Huthi-Rebellen besetzt. Seitdem kann es weder gewartet noch von Spezialisten betreten werden. An Bord ist nur noch eine "Skeleton Crew", die den Verfall der "Safer" nicht aufhalten kann: Rost ist allgegenwärtig, ein Leck wurde notdürftig geflickt, in die Maschinenräume ist Wasser eingedrungen, die Pumpen funktionieren nicht mehr korrekt.
Jasmin Duregger, Klima- und Energieexpertin von Greenpeace, erläutert die verheerenden möglichen Folgen: "Eine Ölpest könnte einerseits durch langsames und konstantes Auslaufen von Öl Realität werden – wenn der Schiffsrumpf weiter durch Verwitterung oder Korrosion beschädigt wird. Auch eine Explosion wäre ein mögliches Szenario – aufgrund von brennbaren Gasen an Bord oder wenn das Schiff absichtlich oder versehentlich von einer Rakete getroffen wird. Ebenso könnte die 'Safer' komplett sinken und seine Rohöl-Ladung freisetzen."
Das massiv bedrohte Rote Meer ist ein globaler Hotspot der Artenvielfalt, unter anderem, weil es über 16.000 Quadratkilometer Korallenriffe beherbergt. Duregger betont das fragile Ökosystem: "Im Roten Meer sind über tausend Fischarten nachgewiesen, von denen 138 nur vor Ort vorkommen."
Wie konnte es so weit kommen? Die Huthis und die von Saudi-Arabien unterstützte Regierung des als souveränes Gebilde de facto nicht mehr existenten Jemen führen erbitterten Streit um die wertvolle Fracht. Diese ist angesichts des Ukraine-Kriegs und der unsicheren globalen fossilen Energieversorgung 100 Millionen Euro wert. Trotzdem fühlt sich niemand für das Schiff verantwortlich.
Auch David Gressly, UN-Koordinator für humanitäre Hilfe im Jemen, warnt davor, dass der Koloss "auseinanderbrechen wird". Für die Beseitigung der Folgen einer möglichen Ölpest über Hunderte Kilometer könnte der Jemen niemals aufkommen, werden die Kosten dafür doch mit gut 19 Milliarden Euro beziffert. Nicht zuletzt unzählige Fischer wären betroffen, im Ernstfall könnten zudem viele Häfen unbenutzbar werden. Sollte sich eine Ölpest bis in den Suezkanal ausbreiten, dürften die Effekte noch weitere Kreise ziehen.
Es braucht noch mehr Mittel
Bei einer UN-Geberkonferenz zur Entschärfung der Situation sind 32 Millionen der dafür nötigen 77 Millionen Euro zusammengekommen. Ausfinanziert ist die Sache also noch lange nicht. Greenpeace-Expertin Duregger: "Die Katastrophe kann nur abgewendet werden, wenn das Öl auf einen anderen Tanker umgeladen wird, der die Sicherheitsbestimmungen erfüllt. Eine temporäre Waffenruhe im Kriegsgebiet Jemen eröffnet jetzt die Möglichkeit dafür – doch das Zeitfenster ist eng: Sollte der Öltransfer nicht bis Oktober geschehen, lässt das Wetter die Operation wieder mehrere Monate lang nicht zu."
In der Pflicht sieht man bei Greenpeace nicht zuletzt Europa: "Auch Alexander Schallenberg als österreichischer Außenminister ist hier gefordert: Bis heute hat sich Österreich nicht dazu verpflichtet, seinen Beitrag zu leisten, um die drohende ökologische und humanitäre Krise zu verhindern. Dabei trifft Österreich besondere Verantwortung: Die teilstaatliche OMV ist als einziger internationaler Öl- und Gaskonzern nach wie vor im Bürgerkriegsland Jemen aktiv und schlägt weiter Gewinn mit Öl- und Gasverkäufen in einem Land, in dem sich zugleich eine der größten humanitären Katastrophen der Welt abspielt", findet Duregger klare Worte.