Wenn‘s rutscht, rutscht´s. Nicht wenige in der steirischen ÖVP mögen sich an diesem denkwürdigen Wahlsonntag an Josef Krainers Diktum aus den Neunzigern erinnert haben. Mit diesem erdigen Sprachbild beschrieb der Titan den eigenen Erosionsprozess, als Macht und Zuspruch porös wurden und der Vorsprung der steirischen ÖVP am Ende auf zweitausend Stimmen schmolz.

Eine politische Hangrutschung fand auch an diesem Sonntag statt, aber mit ungleich größerer Wucht und in einer Dimension, die das Attribut historisch verdient. Schwarze Kantersiege für die Geschichtsbücher gibt es in der Steiermark wie an diesem Wochenende geschehen allenfalls noch im Fußball, in der Landespolitik tragen sich andere ein. Das touristisch ikonisierte Grüne Herz schlägt fortan blau. Das Wahlergebnis schneidet tief in die politische Topografie des Bundeslandes, das über Jahrzehnte hinweg im Selbst- und Fremdbild schwarzes Kernland war. Das gibt es nicht mehr. Das Debakel weckt Erinnerungen an die Schockwelle des Jahres 2005, als die ÖVP die Macht an einen bürgerlichen Roten, Franz Voves, verlor und die Roten Falken in der Wahlnacht mit Fackelzügen die Parteizentrale belagerten. Jetzt verliert man die Stimmenmehrheit, die einmal eine Art Naturgesetz war, an einen bürgerlich aromatisierten Blauen, Mario Kunasek. Drei Jahre nach dem Verlust der Landeshauptstadt büßt die Partei auch die Hegemonie ein und auch den Anspruch, das Land zu führen. Es ist die dritte, traumatische Erschütterung, die die erfolgs- und machtverwöhnte Partei seit der Jahrtausendwende durchlebt und wohl die folgenschwerste.

Der angekündigte Donnerschlag

Ein blaues Wunder ist dieser Donnerschlag nicht. Er hat sich angekündigt. Schon in den Europa- und Nationalratswahlen waren die Freiheitlichen in der Steiermark vorangelegen. Entlang der Schneise, die die Vorboten schlugen, wurde am Sonntag gewählt, nur noch entschlossener. Sie entfaltete einen Sog, dem sich Christopher Drexler nicht zu entziehen vermochte. Alle Entkoppelungsversuche schlugen fehl. Die provinzielle Beschwörung eines genuin steirischen Votums erwies sich als ebenso untauglich wie die Anrufung eines nicht näher spezifizierten Steirertums. Diese Eigenart als kulturellen Monopolanspruch mit einer Partei gleichzusetzen, wirkte aus der Zeit gefallen und anmaßend und passte auch nicht zum weltläufig-urbanen Marken-Image des gescheiterten Erben.

Ihn zu verländlichen, um den Stilbruch zum Vorgänger zu kaschieren, war ein unglücklicher Einfall. Der Kandidat verlor sich zwischen den Profilen. Da war das des siegreichen Herausforderers im Bemühen, Nähe herzustellen, authentischer und wirkungsvoller. Ein bis in schwarze, agrarische Milieus hinein vernehmbarer solidarischer Trotz über die Nicht-Berücksichtigung des isolierten Wahlsiegers im Bund verlieh der blauen Schwungmasse zusätzliche Energie. Für das ohnedies fragile Dreigespann in Wien bedeutet der steirische FPÖ-Triumph einen zusätzlichen Stresstest. Er fordert die Widerstandskraft vor allem der Bundes-ÖVP heraus und erhöht den Erfolgsdruck auf Karl Nehammer. Das gilt für das verwegene Experiment wie für sein eigenes politisches Überleben.

Ochsentour blieb unbelohnt

Drexlers auszehrende Ochsentour durch die Gemeinden blieb unbelohnt, der Amtsbonus ein matter Abglanz. Wende- und Wechselstimmung wogen stärker. Verlust- und Abstiegsängste in Umbruchszeiten, die auch die Steiermark mit ihrem gefährdeten Mobilitätscluster erfasst haben, verschmolzen zu einem Gefühlscocktail, den die FPÖ zu kanalisieren verstand. Sie bietet zu diesen Einrissen weder Antworten noch Lösungen, wohl aber den Verunsicherten eine Projektionsfläche. Das gilt auch für die Illusion, es könne alles bleiben, wie es ist wie bei der billigen Gegnerschaft zur notwendigen, aber unpopulären und politisch unprofessionell gemanagten Neuordnung der Spitalslandschaft. Und bei der Migration sind ohnehin jene im Vorteil, die immer so geredet haben wie die anderen jetzt. Das Thema entwickelte eine größere Dringlichkeit als die Ungereimtheiten über Verwendung und Verbleib von 1,8 Steuermillionen aus der blauen Stadtparteikassa.

Offenkundig gewährt man jenen, die die politische Ordnung aufbrechen sollen, eine größere Toleranz beim Normenbruch als anderen. Zu diesem Trump-Syndrom kam der Cosi-fan-tutte-Effekt der Relativisten: So würden es eh alle treiben. Damit war der Skandal mit den trägen Ermittlungen weitgehend eingeebnet. Und Ibiza? Ibiza war gestern. Wohlstandsgrant kommt ohne Erinnerung aus.

Der „Weg der Vernunft“ wurde überstrapaziert

Der Wahlkampf der steirischen ÖVP lahmte und litt unter strategischen Schwachstellen. So vermisste man angesichts der geistigen Kapazitäten und Ansprüche des Spitzenkandidaten ein Zukunftsbild der Steiermark. Auszumachen war es nicht einmal in Umrissen. Stattdessen wurde ein Duell beschworen, für das ein Vis-a-Vis mit Abschreckungspotential fehlte. Es verpuffte dramaturgisch. Der refrainartig wiederholte Leihstimmen-Aufruf an liberal Gesinnte, um die FPÖ abzuwehren, verriet mehr die Bedrängnis als ein souveränes Kalkül. Auch in der Landeshauptstadt brachte die Zuspitzung nicht die Wende; Graz, das Kap der Hoffnung, wurde nicht zum erhofften Rettungsanker für die ÖVP. Viel zu lustlos kommunizierte man zudem Verdienste der soliden, wenn auch farblosen schwarz-roten Regierung, etwa die Beruhigung der Personalmisere in Kinderkrippen und Kindergärten oder die Wohnbau-Impulse für junge Familien. Die Beschwörung des „Weges der Vernunft“ und des guten Einvernehmens wurde überstrapaziert. Die Appelle kollidierten mit der Stimmungslage. Die begehrte einen Kontinuitätsbruch und nicht die Harmonie des Bestehenden.

Gemäß der Landesverfassung wird nun Mario Kunasek ohne die Lenkungskraft einer höheren Instanz die Koalitionsgespräche zur Bildung einer Landesregierung führen. Er ist am Wort und am Zug. Kunasek ist nicht isoliert wie sein Bundesparteiobmann, niemand hat ihn kategorisch ausgeschlossen. An ihm wird aufgrund des Ausmaßes des Triumphs kein Weg vorbeiführen, auch nicht jenes Gelöbnis, das Schwarz und Rot einander für den Fall einer Mandatsmehrheit gegeben haben. Diese Mehrheit zerbrach unter der Wucht der blauen Woge, nicht zuletzt deshalb, weil auch der Bündnispartner, Anton Langs SPÖ, auf ein historisches Tief abstürzte. Drexler und Lang werden wohl zeitnah den Weg für eine Nachfolge freimachen. Spätestens dann sind alle Treue-Bekenntnisse vergangener Tage obsolet. Spätestens dann wird sich klären, wer von den beiden Verlierern die psychologisch schwierige Schwelle überschreitet und Mario Kunasek die Wahl zum zweiten blauen Landeshauptmann nach Jörg Haider ermöglicht.

Das Wiener Drehbuch zu entlehnen und eine der mandatsarmen Kleinparteien als Stützrad hinzuzunehmen, wäre zwar rechnerisch denkbar, aber ein demokratiepolitisch fragwürdiges Unternehmen. Im Gegensatz zur Nationalratswahl ist der Vorsprung der FPÖ zu erdrückend, um den Zuspruch mit einer arithmetisch gebauten Abwehr-Allianz zu konterkarieren. Es würde den ohnehin bedrohlich aufgerissenen Graben zwischen Regenten und Regierten weiter vertiefen. Ihn wieder zu schließen, wird eine der großen Prüfungen sein. Für den Triumphator wie für die Geschlagenen.