„In God we trust“, “Auf Gott vertrauen wir“ – dieser Wahlspruch der Vereinigten Staaten ist bis heute auf den Dollar-Münzen zu lesen. Und das, obwohl neueste Umfragen eine gegenläufige Tendenz zeigen: „Sie besagen, dass Religion immer weniger wichtig ist und die Zahl der Konfessionslosen immer weiter steigt“, so der Theologe und Religionswissenschafter Andreas G. Weiß. Im aktuellen Wahlkampf spiele Religion trotzdem eine Rolle – jedenfalls indirekt: „Etwa wenn es um Wirtschaft, Zuwanderung oder das Abtreibungsthema geht.“

Religiös und erfolgreich

So wie in vielen anderen Punkten unterscheiden sich die beiden Kandidaten auch in ihrer Religiosität: Donald Trump war in seiner Kindheit ein presbyterianischer Protestant und damit Mitglied einer Kirche mit calvinistischer Ausrichtung. „Vor allem der damalige Pastor, Norman Vincent Peale, hat ihn sehr geprägt“, weiß der Religionswissenschafter. Dessen Maxime habe gelautet: „Jeder ist erwählt und kann erfolgreich sein“ oder umgekehrt formuliert: „Je erfolgreicher jemand ist, desto mehr glaubt er an Gottes Erwähltheit.“ Damit könne Trump auch bei den Arbeitern punkten: Wohlstand als Zeichen für Arbeitseifer im Lichte der Religion. Heute gehört der republikanische Präsidentschaftskandidat keiner konkreten Kirche mehr an, versteht sich aber als „überzeugter Christ“. Weiß: „Damit kann er mehr Menschen ansprechen.“ Anders als in Europa geben Pastoren in den Vereinigten Staaten auch Wahlempfehlungen ab.

Selbstbewusste Christin

Kamala Harris hingegen ist bis heute Baptistin und gehört einer Freikirche an, die durchwegs fortschrittliche Ansichten vertritt und in der etwa Frauen auch Pastorinnen sein können. „Sie steht für eine selbstbewusste Form von christlicher Identität. Das passt in ihr politisches Gesamtbild“, analysiert Weiß. Dazu gehört auch die Position der demokratischen Präsidentschaftskandidatin hinsichtlich Abtreibung: „Sie vertritt hier die Meinung, dass jede Frau selbst entscheiden soll.“ Trump spreche sich zwar dagegen aus, sei aber gegen eine US-weit einheitliche Regelung. „Diese schlangenlinienförmige Positionierung ist natürlich eine Strategie, um mehr Wähler anzusprechen.“ Papst Franziskus‘ klares Nein zur Todesstrafe – das ebenso im Licht des Lebensschutzes zu sehen ist – wird übrigens in den USA teilweise sehr kritisch gesehen: In 27 der 50 Bundesstaaten ist sie nach wie vor legal.

Religion = Glaubwürdigkeit

Jeder Bundesstaat einzeln betrachtet wird auch von den Wahlkampfstrategen der beiden Kontrahenten: Denn während in den ländlich geprägten Religion sehr wohl noch eine Rolle spielt, sind die großen Städte entlang der Ost- und Westküste hingegen teilweise schon stark säkularisiert. Wobei Weiß einschränkt: „Religion steht nach wie vor für weltanschauliche Orientierung und ist nach wie vor ein Indikator für Glaubwürdigkeit. Dass ein nicht-religiöser Mensch das Präsidentenamt bekleidet, halte ich momentan noch für undenkbar.“

Wahlentscheidend

Weiß‘ Prognose zum Wahlausgang? „Ich habe 2016 beschlossen, keine Prognosen mehr abzugeben. Was ich sagen kann, ist, dass die Swing States (Bundesstaaten, die von vornherein keiner Partei zugeordnet werden können, Anm.) dieses Mal sicher eine Schlüsselrolle spielen werden, 30.000 Stimmen entscheidend sein können.“ Und dabei könnte auch Religion zur Gretchenfrage werden.

Andreas G. Weiß
Andreas G. Weiß © KK