Nach der Aufregung um Änderungen an der russischen Nukleardoktrin legt der Kreml die Latte für einen möglichen Einsatz von Atomwaffen wieder höher. Das Kampfgeschehen im Ukraine-Krieg sollte nicht immer gleich in Verbindung mit einer nuklearen Reaktion Russlands gebracht werden, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow in Moskau. Die russische Flugabwehr hatte nach unbestätigten Militärangaben am Sonntag 125 ukrainische Drohnen abgewehrt.
Zwischen Eskalation und Deeskalation
Peskow ging am Montag auf die Frage ein, ob dies nicht einen massiven Luftangriff darstelle, auf den Russland laut neuer Doktrin mit Atomwaffen antworten könnte. „Man sollte sich nicht zu sehr auf dieses Dokument beziehen, es ist ein wichtiges Dokument“, sagte er über die Nukleardoktrin. „Es sind wichtige Beschlüsse gefasst worden, sie werden entsprechend festgeschrieben. Aber die militärische Spezialoperation geht ihren Gang, ohne dass man dauernd irgendwelche Verbindungen ziehen muss“, sagte er der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS zufolge.
Staatschef Wladimir Putin hatte vergangene Woche in bedrohlichem Tonfall erweiterte Regeln für den möglichen Einsatz von Atomwaffen angekündigt. Danach könnte Russland auch Luftangriffe auf sein Gebiet als existenzielle Gefahr werten oder Angriffe durch ein nicht nuklear bewaffnetes Land, das aber von Atommächten unterstützt wird. Die Gefährlichkeit dieser Atomdrohung wird von westlichen Sicherheitsexperten unterschiedlich beurteilt.
Bisher komme aus Moskau nur Rhetorik, schrieb der in Oslo forschende deutsche Militärexperte Fabian Hoffmann. „Bevor es tatsächlich zu einem Nuklearwaffeneinsatz kommt, werden wir ganz andere Signale aus Russland bekommen. Dann werden wir etwa sehen, wie nukleare Gefechtsköpfe von A nach B transportiert oder Raketensysteme zur Schau gestellt werden“, sagt er im Gespräch mit der Kleinen Zeitung.
Tatsächlich hat Russland immer dann mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht, wenn militärische Entscheidungen anstanden. Es könnte also durchaus sein, dass Russland sich die eigene Nuklearstrategie nur als Drohkulisse offenhalten will, um auf mögliche rote Linien hinzuweisen.
In Militärakten aus den Jahren 2008 bis 2014, die im März von der „Financial Times“ veröffentlicht wurden, sind konkrete Kriterien aufgelistet, wann Moskau taktische Atomwaffen einsetzen würde: Ein Anlass könnte etwa sein, dass eine größere Zahl feindlicher Truppen auf russisches Territorium eindringt oder ein Fünftel der russischen Militär-U-Boote zerstört wird.