Der Zeitpunkt sorgte für Ärger. Dass SPÖ-Chef Andreas Babler bereits am Donnerstag im ORF-Wahlduell auf Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) traf, hatte man innerhalb der SPÖ als Affront aufgefasst. Denn in vergangenen Jahren „duellierten“ sich die Chefs der erst- und zweitgereihten Partei bei der vergangenen Wahl stets als letzte – diesmal werden allerdings Nehammer und FPÖ-Chef Herbert Kickl den Reigen komplett machen.
Ob man den jeweils anderen als künftigen Koalitionspartner sehe, ließen Babler und Nehammer offen. Eine mögliche Hürde sprach Moderatorin Alexandra Wachter zu Beginn der Diskussion an: SPÖ-Chef Babler nannte Vermögenssteuern in der Vergangenheit als Koalitionsbedingung, die ÖVP ist strikt dagegen. An solchen Steuern führe „kein Weg vorbei“ betonte Babler auch am Donnerstag. Nehammer blieb bei der Linie seiner Partei: Vermögens- und Erbschaftssteuer seien aus gutem Grund abgeschafft worden, betonte der Bundeskanzler, diese hätten sich in der Vergangenheit als nicht effizient erwiesen und hätten zu geringe Einnahmen gebracht. Die ÖVP würde dadurch „Superreiche schützen“, entgegnete der SPÖ-Chef, „das ist nicht mehr christlichsozial“.
Nehammer: „Sie stehen am Spielfeldrand und reden rein“
Thematisch war das Duell vor allem für Babler günstig: Die Diskussion über die Teuerung sowie hohe Lebenserhaltungskosten – Schwerpunkte im roten Wahlprogramm – dominierte die 50-minütige Diskussion. Babler warf der Regierung Versagen bei der Inflationsbekämpfung vor, die ÖVP habe den Bezug zu den Menschen verloren und sei „der Totengräber der politischen Mitte“. Nehammer betonte vor allem unter Türkis-Grün beschlossene Entlastungsmaßnahmen, allen voran die Abschaffung der Kalten Progression. „Sie stehen am Spielfeldrand und reden rein und tragen keine Verantwortung“, meinte Nehammer zu Babler, im SPÖ-regierten Wien seien Gebührenerhöhungen etwa besonders hoch ausgefallen.
Während sich der ÖVP-Chef anfangs betont ruhig gab und Gemeinsamkeiten – der Wunsch nach Entlastung und mehr Arbeitsplätzen – ansprach, zeigte sich Babler von Beginn an konfrontativ und warf dem Bundeskanzler „Abgehobenheit“ vor. Schnell entwickelte sich eine hitzige Diskussion, die Parteichefs unterbrachen sich häufig und unterstellten dem jeweils anderen die Verbreitung von Falschinformationen.
Neos und Grüne wollen mit Klimaschutz punkten
Nicht um den Kanzlersessel, sondern um den vierten Platz rittern Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), die im zweiten Duell des Abends aufeinandertrafen. Sollte sich nach der Wahl keine Zweierkoalition ausgehen, könnten die beiden Kleinen allerdings zu Königsmachern werden. Zu Beginn der Konfrontation versuchten der Spitzenkandidat und die Spitzenkandidatin, ihre Partei jeweils als bessere Klimaschützerin zu positionieren. Kogler rückte Beschlüsse unter Türkis-Grün in den Vordergrund, Meinl-Reisinger ortete etwa Versäumnisse in Sachen Bodenschutz.
Als umfangreichen Themenkomplex gab Moderatorin Susanne Schnabl Sicherheit und Integration vor. Man müsse auch im digitalen Raum schärfer gegen Hassprediger vorgehen, sagte Vizekanzler Kogler. Strengere Regeln brauche es vor allem für die bei Jungen beliebten Videoplattform TikTok, Möglichkeiten sah Kogler vor allem auf europäischer Ebene. Meinl-Reisinger stimmte weitgehend zu, Einflüsse etwa aus China und Russland in den sozialen Medien würden westliche Demokratien unter Druck setzen. Verbieten wolle sie die Kurzvideo-Plattform trotzdem nicht: „Nur weil sie TikTok abdrehen, haben sie den Kampf um die Demokratien auch nicht gewonnen“.
Kogler würde „Sideletter“ nicht noch einmal unterschreiben
Um möglicher Radikalisierung vorzubeugen müsse man stärker Integrationsmaßnahmen forcieren, waren sich Kogler und Meinl-Reisinger einig. „Wir müssen im Bildungsbereich weiterkommen, aber das geht nicht mit einem Bildungsminister Polaschek, der nur mit dem Finger auf Wien zeigt“, meinte die Neos-Chefin. Sie forderte erneut ein Schulfach „Leben in einer Demokratie“, Kinder, die „ihr gesamtes Leben in Flüchtlingslagern verbracht haben“, sollen zudem nicht direkt eingeschult werden, sondern zunächst „Brückenkurse“ besuchen. Kogler setzte vor allem auf ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr, das jüngeren Kindern vor allem beim Deutschlernen helfen würde.
Ob Neos und Grüne einer Koalition zur Mehrheit verhelfen werden, oder sich doch eine Zweierkoalition ohne eine der kleineren Parlamentsparteien ausgeht, wird sich nach der Wahl zeigen. Einen „Sideletter“, also Vereinbarungen zwischen Regierungspartnern abseits des veröffentlichten Koalitionsabkommens, würden beide jedenfalls nicht unterschreiben, betonten Meinl-Reisinger und Kogler am Ende der unaufgeregten und von Konsens geprägten Diskussion. Jenen Sideletter, die nach der Wahl 2019 zwischen ÖVP und Grünen geschlossen wurden, würde Kogler heute nicht mehr zustimmen, sagte der Vizekanzler. Die darin getroffenen Vereinbarungen hätten allerdings auch Alleingänge durch die ÖVP verhindert.