Die Identität des beim historischen Gefangenenaustausch zwischen Russland, Belarus und mehreren westlichen Ländern involvierten Wadim Krassikow ist nun vom Kreml bestätigt worden. Der „Berliner Tiergartenmörder“ ist tatsächlich ein Agent des russischen Geheimdienstes. „Krassikow ist ein Mitglied des FSB“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Freitag in Moskau. Krassikow war 2021 in Deutschland zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Russland bestätigt: Krassikow ist ein Spion
Er sei ein Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes FSB gewesen und habe der Alpha Gruppe angehört, so Peskow. Die Alpha Gruppe ist eine auf Antiterroreinsätze spezialisierte Spezialeinheit des FSB. Krassikow hatte 2019 in einer Parkanlage in Berlin einen Georgier getötet, der in Deutschland Schutz gesucht hatte. Der russische Präsident Wladimir Putin nahm den Mörder öffentlich in Schutz, weil er aus russischer Sicht einen Staatsfeind beseitigt hatte. Krassikow ist laut dem CDU-Sicherheitsexperten Roderich Kiesewetter ein langjähriger Kollege, Freund und Partner von Putin.
Besonders Krassikows Fall dürfte ein Diskussionspunkt in den Verhandlungen zum Gefangenenaustausch gewesen sein. Der deutsche Generalstaatsanwalt wollte ihn nicht freilassen – das Justizministerium musste die Abschiebung in einer schriftlichen Weisung veranlassen. Denn ohne die Freilassung des „Tiergartenmörders“ wäre der größte Gefangenenaustausch seit dem Kalten Krieg insgesamt nicht zustande gekommen, wie die US-Regierung deutlich machte. „Im Verlauf der Verhandlung sind wir zu dem Schluss gelangt, dass Krassikow ein Schlüssel war“, sagte Bidens Nationaler Sicherheitsberater, Jake Sullivan.
Auch Nawalny hätte getauscht werden sollen
Aus US-Regierungskreisen heißt es, dass die Entscheidung, ihn abzuschieben, bereits im Februar vom deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz getroffen worden sei. Ursprünglich sollte nach den US-Plänen Alexej Nawalny, der prominenteste russische Oppositionelle, in den Häftlingsaustausch einbezogen werden. Nach dem Tod Nawalnys heuer im Februar gingen die Verhandlungen mit anderen Gefangenen weiter.
Biden zeigt sich zufrieden
Der russische Botschafter in den USA, Anatoli Antonow, gab unterdessen bekannt, weitere Gefangene freibekommen zu wollen. „Es gibt immer noch Dutzende von Russen in amerikanischen Gefängnissen, die hoffnungsvoll auf das Vaterland blicken und auf ihre Stunde der Freilassung warten“, teilte Antonow auf Telegram mit. Er gratulierte den in den USA freigelassenen Russen, während US-Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris ihre zurückkehrenden Landsleute auf dem Militärflughafen Joint Base Andrews unweit der Hauptstadt Washington empfingen.
„Es ist ein wunderbares Gefühl“, sagte Biden. „Ich war absolut überzeugt, dass wir das schaffen können.“ Der Gefangenenaustausch sei aber ein „harter Brocken“ für die Verbündeten der USA gewesen, sagte er. Besonders Deutschland und Slowenien hätten Entscheidungen treffen müssen, die „gegen ihre unmittelbaren Interessen waren“.
Biden und Harris umarmten den wegen Spionage verurteilten „Wall Street Journal“-Korrespondenten Evan Gershkovich und den ehemaligen US-Soldaten Paul Whelan nach dem Verlassen der Maschine. Harris meinte, der Gefangenenaustausch sei ein „außerordentlicher Beweis dafür, wie wichtig es ist, einen Präsidenten zu haben, der die Macht der Diplomatie versteht“.
Die Mitbegründerin der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial, Irina Scherbakowa, hat die Freilassung von in Russland Inhaftierten im Zuge des mit Moskau vereinbarten Gefangenenaustausches begrüßt. Aus ihrer Sicht sendet Putin das Signal, „eigentlich kann man mit mir verhandeln“. Die Memorial-Mitbegründerin warnte aber davor, sich dieser Illusion hinzugeben: „Ich hoffe, das täuscht die anderen Politiker und Diplomaten nicht, denn sie wissen, mit wem sie es zu tun haben.“ Wenn es um menschliches Leben gehe, so Scherbakowa, müsse „man manchmal vielleicht auch mit dem Teufel verhandeln“.
Großes Lob von diplomatischen Kreisen
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des US-Repräsentantenhauses, Michael McCaul (Republikaner), machte Bedenken deutlich, dass sich die USA erpressbar machten. Auch der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen meinte, er fürchte den Propagandaeffekt, den Putin durch den Gefangenenaustausch erziele. „Das Schlimmste wäre, wenn es jetzt zur Nachahmung kommt. Also wenn jetzt quasi Putin jedem gedungenen Mörder, den er in den Westen schickt, um irgendwelche Menschen auszuschalten (…), wenn er denen sagen kann: Ihr seht ja am Fall des ‚Tiergartenmörders‘: Ich hole euch raus.“
Emil Brix, der Direktor der Diplomatischen Akademie in Wien, findet ebenso, dass der Westen sich durch den Austausch erpressbar macht. „Aus diplomatischer Sicht war das eine Meisterleistung, aus Sicht der internationalen Beziehungen war es keine Sternstunde, sondern ein Präzedenzfall“, so Brix im „Mittagsjournal“ des ORF-Radios Ö 1. Russland werde Freipressung dieser Art in Zukunft wieder nutzen, zeigte er sich überzeugt.
Zu den russischen Gefangenen, die im Zuge des Austauschs von westlichen Staaten freigelassen wurden, gehören auch Roman Selesnjow, ein zu 27 Jahren Haft verurteilter Computer-Hacker, und Wladislaw Kljuschin, ein IT-Unternehmer, der wegen Cyberbetrugs in den USA zu neun Jahren Haft verurteilt worden war. Außerdem freigekommen ist der noch nicht verurteilte, mutmaßliche Geheimdienstagent Wadim Konoschtschjonok, der unter Umgehung von Sanktionen auch für militärische Zwecke nutzbare Technik geschmuggelt haben soll.
Nach mehr als neun Stunden Flug waren die in der türkischen Hauptstadt Ankara gestarteten amerikanischen Freigelassenen kurz vor Mitternacht (Ortszeit) in der Nähe von Washington gelandet. An Bord befand sich neben Gershkovich und Whelan auch die Journalistin Alsu Kurmasheva. Russland, Belarus und mehrere westliche Länder hatten in einer beispiellosen Aktion unter Beteiligung des türkischen Geheimdienstes MIT auf dem Flughafen von Ankara insgesamt 26 Gefangene ausgetauscht. Im Gegenzug für die Freilassung politischer Gefangener und Regimekritiker ließen Deutschland, die USA und Partnerländer den „Tiergartenmörder“ und unter Spionageverdacht stehende Häftlinge aus Russland gehen. 13 Personen landeten in der Nacht in Köln.