Das Melodram „May December“ von Todd Haynes handelt von der Schauspielerin Elizabeth (Natalie Portman), die nach Georgia reist, um Gracie (Julianne Moore) zu treffen und deren Leben zu studieren, die sie in einem Film darstellen soll. Die Liebesbeziehung der 23 Jahre älteren Gracie zum 13-Jährigen Schüler Joe hatte seinerzeit für einen landesweiten Skandal gesorgt, sie musste dafür sogar in Haft. Längst sind die beiden aber verheiratet und haben Zwillinge, die bald die High School abschließen. „May December“ ist eine Ausdruck für große Altersunterschiede. Die beiden Oscar-Preisträgerinnen Natalie Portman und Julianne Moore, die die Hauptrollen in der brandneuen Netflix-Produktion spielen, sprechen darüber und über die Rollen der Frauen in Filmen und im echten Leben.
„May December“, lose von einer wahren Geschichte inspiriert, behandelt den großen Altersunterschied zwischen zwei Partnern. Warum wird ein solcher von vielen angelehnt?
JULIANNE MOORE: Meine Figur ist jemand, der Grenzen überschreitet, gewaltig überschreitet. Denn der Altersunterschied ist eine Sache, aber eine Beziehung zwischen einem Erwachsenen und einem Kind ist noch einmal ganz etwas anderes. Menschen wissen oft nicht, wo die Grenzen von anderen liegen. Wenn jemand eine soziale oder emotionale Grenze überschreitet, fühlt man sich unsicher. Das ist es, was Todd Haynes in diesem Film so schön eingefangen hat. Und das ist es, was mich am meisten fesselt.
Natalie, Sie haben zuvor in einem Biopic mitgespielt, in dem es um Jackie Kennedy ging. Half Ihnen das bei der Vorbereitung zum jetzigen Film?
NATALIE PORTMAN: Ja, ich denke, der Prozess der Recherche für die Rolle der Jackie gab mir einen Einblick in das, was Elizabeth tun könnte, um ihre Rolle zu recherchieren und zu versuchen, die unerwarteten Aspekte der Rolle zu finden. Wir hatten natürlich auch all das inspirierende Material aus der Boulevardpresse, das zu dem echten Fall hinter „May December“ vorliegt. Und auch das Buch mit dem verrückten Titel „Punished for Love“ (Bestraft für die Liebe“) half uns bei der Suche nach Hintergrundinformationen.
Sie kamen beide sehr früh in das System Hollywood. Wie war das?
JULIANNE MOORE: Es geht, wie auch so viele Filme von Todd Hayes zeigen, um Identität. Aber wer wir sind, ist nicht unbedingt das, was wir tatsächlich sind. Wie es uns von der Kultur, dem Geschlecht, der Zeit, der Rasse vorgeschrieben wird, all das definiert uns. Die Idee des freien Willens und dass wir uns das alles selbst ausgesucht haben, ist einfach nicht wahr. So ist es auch bei der Figur der Gracie.
NATALIE PORTMAN: Es geht es in dem ganzen Film so sehr um die verschiedenen Rollen, die wir in verschiedenen Umgebungen, für verschiedene Leute, sogar für uns selbst spielen. Und natürlich ist die Darstellung von Weiblichkeit auch ein wiederkehrendes Thema in Todds Filmen. Mich interessieren selbst immer die unterschiedlichen Verhaltensweisen, die von uns Frauen erwartet werden, wie wir aussehen sollen, gerade auch in unserer Branche. Die Erwartungen an dich sind die ganze Zeit über unterschiedlich. Und das wirkt sich darauf aus, wie man sich verhält, ob man sich darauf einlässt. Man wird definitiv durch die sozialen Strukturen definiert, die einem vorgegeben werden.
Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass Frauen oder andere unterrepräsentierte Gruppen mehr als bisher ihre eigenen Geschichten erzählen können und gehört werden?
NATALIE PORTMAN: Es ist unglaublich, an einem Film wie „May December“ mitzuwirken, in dem es um zwei so komplexe Charaktere geht, die mit behaftet sind, mit denen wir alle behaftet sind. Und es war unglaublich, Todds Sicht auf Frauen zu erkennen, die einfach nur menschlich ist und die uns dazu ermutigt, mit allen Fehlern und Vorzügen so zu sein, wie wir halt sind.
JULIANNE MOORE: Ja, und ich möchte betonen, dass Frauen keine Minderheit sind, wir machen schließlich 50 Prozent der Weltbevölkerung aus. Es ist also wichtig, dass wir dementsprechend behandelt werden.
Vicky Dearden