In letzter Zeit verbringe ich gerne Zeit in Museen, denn ich finde es für ein paar Augenblicke abseits des Alltags beruhigend, dass in den großen Sälen die Welt stillsteht, und ihre großen Drehungen, Zusammen- und Umbrüche schon hinter sich hat. Ich gönne mir das Staunen, den Überschuss an Schönheit, hin und wieder sogar den leisen Rausch hinter der Stirn, der einen erfassen kann, wenn man vor einem Werk innehält, das man kennt und verehrt. So manches Bild besucht man wie einen lieben, alten Freund, um dann doch fremd vor seiner Macht zu stehen und sich der Größe zu ergeben. Je nach Gestimmtheit mache ich mal den ausgemergelten Sinnlichkeitsleibern Schieles die Aufwartung, mal kehre ich in die tausendgrünen Landschaften Klimts heim, an anderen Tagen suche ich dringend die Gesellschaft von Maria Lassnig, oder halte Zwiegespräch mit den Gespenstern Francis Bacons. Für jedes noch so verquere Bedürfnis im Menschen drin findet man hier den richtigen Rahmen. Vor den Bildern vergisst man die Zeit, ohne sie zu verlieren, und verlässt schlussendlich die Räume mit dem Gefühl, innerhalb weniger Stunden mehr als eine ganze Welt bereist zu haben.
Genauso gerne wie die Werke sehe ich mir jene an, die sie betrachten. Jemandem beim Schauen zuzuschauen, einem Fremden in seine Versunkenheit zu spähen ist ein schöner Grenzübertritt, eine unaufdringliche Aufdringlichkeit, ein sicheres Vergehen. Noch lieber als die Versunkenen aber habe ich die Gelangweilten und Pflichtschuldigen: mitgeschleppte Ehepartner mit hängenden Schultern, gähnende Senioren, ratlose Touristen, sich selbst fotografierende Influencer mit Entchenlippen, und die Schwärme erschlaffter Schulklassen, dahintreibende Kinder, die eifrige Erwachsene mit der Macht der Kunst dringend aus ihrer Unlust reißen wollen. Kaum je kommt das große Erwachen. Kürzlich wurde ich nun aber doch Zeuge eines Aufrüttelns im Museum. Vor einem Dürer-Kupferstich („Adam und Eva“) gerieten zwei Burschen in wilden Streit, Beschimpfungen flogen hin und her, bis der eine dem anderen als Beleidigung im Jugendslang andeutete, er hätte Geschlechtsverkehr mit dessen Mutter, und ein Dabeistehender geistesgegenwärtig rasch zu bedenken gab, dass die beiden Streithähne doch Geschwister seien. Da wurde es schlagartig still, und den jungen Leuten verschlug es die Sprache und ich konnte doch noch einem musealen Erweckungsmoment beiwohnen