Die Ärztekammer ist alarmiert. Eine „Zwangsverpflichtung von Ärzten und Einschränkungen der Versorgung der Patienten“ stünden bevor, sollte die im Zuge des Finanzausgleichs ausverhandelte Gesundheitsreform wie geplant umgesetzt werden, warnt Edgar Wutscher, Vizepräsident der Standesvertretung. Nun überlege man Schritte, die zu einer Auflösung des Gesamtvertrages mit der Krankenkasse führen könnten, droht die Ärztekammer.

Was das Reformpaket konkret beinhaltet, ist noch unklar, ein Entwurf soll allerdings noch im November im Nationalrat eingebracht werden. Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) betont Vorteile für die Patienten: Mehr Kassenstellen, Primärversorgungszentren und Kassenambulatorien sollen etwa entstehen. Die Ärztekammer fürchtet dabei allerdings um ihre Mitspracherechte, auch in die Verhandlungen zur Reform sei sie nicht eingebunden worden.

Vertragsloser Zustand als Druckmittel

Es ist nicht das erste Mal, dass die Standesvertretung der Ärztinnen und Ärzte mit der Auflösung des Gesamtvertrages droht, um gegen politische Entscheidungen anzukämpfen, oder ihre Verhandlungsposition gegenüber der Sozialversicherung zu stärken. Denn eine „vertragsfreie Zeit“, wie sie in einem solchen Fall droht, hat unangenehme Auswirkungen, sowohl für die Patienten als auch für die Krankenkassen.

Denn die Sozialversicherung schließt einen Vertrag mit der gesamten Ärzteschaft ab, in dem etwa Tarife oder Vertretungsregeln festgeschrieben sind. Kündigt die Kammer den Gesamtvertrag auf, bestehen keine Verträge mehr zwischen der Krankenkasse und den einzelnen niedergelassenen Ärzten. Patienten müssten also für Leistungen selbst bezahlen und dann die Rechnung bei der Sozialversicherung einreichen, um die Kosten ganz oder teilweise rückerstattet zu bekommen, wie es von Wahlärzten bekannt ist. „Für die Sozialversicherung wäre das auch ein unglaublicher administrativer Aufwand“, erklärt Gesundheitsökonom Thomas Czypionka vom IHS. Denn während normalerweise die Abrechnung über die E-Card fast automatisch funktioniere, müssten die Sozialversicherungen ohne Gesamtvertrag Überweisungen an jeden einzelnen Patienten tätigen.

„Die Ärztekammer sitzt auf dem längeren Ast“

„Die Ärztekammer hat hier also ein Druckmittel, sie sitzt auf dem längeren Ast“, sagt Czypionka. Generell ist die Kammer hierzulande mächtig: „Die Ärztekammer hat innerhalb Europas eine besondere Stellung, es sind sehr viele Interessen in einer Institution vereint“, erklärt er. Einerseits habe die Ärztekammer standesrechtliche Funktionen, andererseits übernehme sie durch das Verhandeln der Gesamtverträge auch gewerkschaftliche Aufgaben. In anderen europäischen Staaten seien diese Ausgaben getrennt, um Interessenskonflikte zu vermeiden. „Ist die Ärztekammer mit der Legislative unzufrieden, streikt sie bei den Verträgen“, sagt Czypionka. Das trifft dann die Sozialversicherungen – und indirekt die Patienten.

Tatsächlich zu einem vertragslosen Zustand ist es übrigens zuletzt im Juni 2010 gekommen, nachdem Verhandlungen zwischen der Ärztekammer und der damaligen Sozialversicherung für Gewerbetreibende (SVA) gescheitert waren. Allerdings mussten die Versicherten nur zehn Tage lang selbst in die Tasche greifen – mit wachsendem politischen Druck konnte schließlich doch eine Einigung erzielt werden.

Gesundheitsminister Rauch will sich durch das Säbelrasseln der Ärzteschaft jedenfalls nicht von seinen Reformplänen abbringen lassen, betonte er am Freitag. „Es täte auch der Ärztekammer gut, sich nicht nur um ihren Machterhalt zu kümmern, sondern auch das Wohl der Patienten und die Zukunft unseres Gesundheitssystems im Auge zu behalten“, mahnte der Minister.