Wahlkämpfe tragen „in aller Regel zur Zuspitzung und Polarisierung bei“, befinden die Grünen. Deshalb wird der Bundeskongress, bei dem die Partei über die Liste für die EU-Wahl inklusive Spitzenkandidatur abstimmen wird, von Mitte Dezember auf 24. Februar 2024 verschoben. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel sei die Stimmung ohnehin angespannt, ein früher Wahlkampfstart wäre da kontraproduktiv, lautet die offizielle Erklärung.

Leonore Gewessler | Gewessler will nicht an der Spitze der EU-Kampagne ihrer Partei stehen.
Leonore Gewessler
| Gewessler will nicht an der Spitze der EU-Kampagne ihrer Partei stehen. © APA / Roland Schlager

Hinter der Entscheidung dürfte allerdings etwas anderes stecken als die Sorge um die Stimmung im Lande. Lange galt es als quasi fix, dass Klimaschutzministerin Leonore Gewessler an der Spitze des grünen Europawahlkampfes stehen würde, sie selbst schwieg dazu. Nun soll sie die Parteispitze informiert haben, dass ein Antritt für sie nicht infrage komme. Am Donnerstag winkte auch der Nationalratsabgeordnete Michel Reimon, der von 2014 bis 2019 bereits im EU-Parlament saß, ab. Damit muss die Suche nach geeigneten Gesichtern wohl von vorne beginnen. Auch von der bekannten Klimaaktivistin Lena Schilling, die von den Grünen seit längerem hofiert werden soll, gibt es bisher keine Zusage. Wen die Grünen ins Rennen schicken, scheint also offen. Doch damit ist die Partei nicht alleine.

SPÖ beschließt Wahlliste am Sonntag

Am weitesten fortgeschritten ist die Listenerstellung bei der SPÖ, wobei sie auch dort nicht ohne interne Querelen über die Bühne ging. Wie schon 2019 stehen Andreas Schieder und Evelyn Regner auf den ersten beiden Listenplätzen, am Sonntag soll die entsprechende Liste auf dem am Samstag beginnenden Bundesparteitag in Graz abgenickt werden. Das Burgenland unter Hans Peter Doskozil fühlt sich allerdings ungerecht behandelt, wäre doch Ex-Minister Norbert Darabos auf den aussichtslosen siebenten Listenplatz verwiesen worden. Nun stellt Doskozils Landespartei gar keinen Kandidaten auf.

Andreas Schieder | Wie schon 2019 wird Andreas Schieder auch 2024 auf dem ersten Listenplatz der SPÖ stehen.
Andreas Schieder
| Wie schon 2019 wird Andreas Schieder auch 2024 auf dem ersten Listenplatz der SPÖ stehen. © APA / Helmut Fohringer

Bei der FPÖ wurde lange spekuliert, dass EU-Sprecherin und Nationalratsabgeordnete Petra Steger nach Brüssel geschickt werden könnte. Dem bisherigen FPÖ-Mann vor Ort, Harald Vilimsky, wurde phasenweise ein nicht allzu gutes Verhältnis zu Parteichef Herbert Kickl nachgesagt. Beim blauen Frühschoppen im steirischen Hartberg Anfang Oktober war davon aber nichts zu spüren. „Harald Vilimsky, das ist der Fels, auf den wir unseren Wahlkampf aufbauen“, schwärmte Kickl, es gebe „keinen besseren Spitzenkandidaten für die Europawahl“. Ganz offiziell ist die Sache aber noch nicht, die Parteigremien sollen im Februar oder März grünes Licht für die freiheitliche Liste geben. 

Wen die ÖVP nominiert, ist völlig offen

So weit ist man in der ÖVP noch nicht. Othmar Karas, für die Volkspartei seit 1999 im EU-Parlament, wird jedenfalls nicht mehr kandidieren. „Die ÖVP ist nicht mehr dieselbe Europapartei, die ich einst mitgestaltet habe. Sie ist nicht mehr die Kraft der Mitte“, begründete Karas im Oktober, seither wird über einen Antritt mit einer eigenen Liste spekuliert. Einen neuen zugkräftigen Spitzenkandidaten hat die Partei von Kanzler Karl Nehammer noch nicht vorgestellt, unter anderem Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm und EU-Parlamentarier Lukas Mandl sollen Gerüchten zufolge im Gespräch sein. Neu zu besetzen ist 2024 auch der EU-Kommissar, Amtsinhaber Johannes Hahn schloss eine vierte Amtszeit bereits aus. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler und Außenminister Alexander Schallenberg wird hochgradiges Interesse nachgesagt. „Auf einer Liste für die Wahl zum Europäischen Parlament werden Sie mich nicht sehen“, sagte Edtstadler im Sommer in einem Interview. Das wäre in diesem Fall aber gar nicht nötig, der EU-Kommissar wird von der Bundesregierung nominiert.

Claudia Plakolm | Gerüchten zufolge soll Claudia Plakolm bei der ÖVP im Gespräch für Brüssel sein.
Claudia Plakolm
| Gerüchten zufolge soll Claudia Plakolm bei der ÖVP im Gespräch für Brüssel sein. © APA / Helmut Fohringer

Wer für die Neos in den EU-Wahlkampf ziehen will, muss erst ein umfangreiches Auswahlverfahren überstehen. In einem ersten Schritt, der im Dezember passieren soll, dürfen alle Wahlberechtigten im Land über mögliche Kandidatinnen und Kandidaten öffentlich abstimmen. Aus den dort vergebenen Punkten entsteht eine Reihung, über die in einem zweiten Schritt der erweiterte Vorstand abstimmt. Über die daraus erfolgte Reihung wird dann bei der Mitgliederversammlung am 27. Jänner in Vorarlberg endgültig entschieden. Als bisherige Favoriten für den Posten werden der Abgeordnete Helmut Brandstätter und Integrations- und Jugendsprecher Yannick Shetty gehandelt. Die bisherige pinke Vertreterin in Brüssel, Claudia Gamon, wechselte als Landessprecherin zurück nach Vorarlberg. Die frühere Neos-Kandidatin Nini Tsiklauri tritt für die paneuropäische Partei Volt an.

KPÖ will kandidieren, Bierpartei winkt ab

Auch über einen möglichen Antritt der Bierpartei wurde, nach dem überraschend guten Abschneiden von Parteichef und Musiker Dominik Wlazny bei der Bundespräsidentschaftswahl im vergangenen Herbst, spekuliert. Ein solcher stehe im Moment „nicht zur Diskussion“, heißt es dort auf Anfrage. Über ein Antreten bei der Nationalratswahl im Herbst 2024 sei noch nicht entschieden worden. Sehr wohl Ambitionen für Brüssel hat dagegen die KPÖ. Die Entscheidung für ein Antreten bei der Wahl sei bereits gefallen, wen man ins Rennen schicken will, ist noch offen.

Fix ist jedenfalls der Termin der EU-Wahl am 9. Juni 2024. Der Zeitpunkt ist für die heimischen Parteien heikel, schließlich steht planmäßig wenige Monate später auch die Nationalratswahl an. Normalerweise ist ein bescheidenes Ergebnis bei einer Europawahl für die Parteien noch am ehesten zu verkraften. Doch 2024 wird niemand als Verlierer in den wichtigen Wahlkampf im Herbst gehen wollen.