Am Anfang waren Superhelden wie Engel: Weder Gott, noch Mensch. Sie waren gekommen, um den Menschen in den fiktiven Comicstädten Metropolis oder Gotham City schützend zur Seite zu stehen. Dann erschien Stan Lee, warf die alte Ordnung über den Haufen und schuf die Welt der Superhelden neu. Lee gab seinen Figuren Fehler, stattete sie mit Unzulänglichkeiten aus und machte sie verletzlich. „Und das machte sie nahbarer“, weiß Steffen Volkmer vom Panini-Verlag.

Jeder von uns erkennt sich in Spider-Man wieder, der als Peter Parker ein normales Dasein fristet und durch den Biss einer Spinne in das übermenschliche Sein eines Superhelden gestoßen wird. Der aus New York stammende, als Stanley Martin Lieber geborene Comic-Autor schuf quasi das gesamte Marvel-Universum: die Fantastischen Vier (1961), Hulk (1962), Thor (1963), Iron Man (1963) und die X-Men (1963) gemeinsam mit Jack Kirby, Spider-Man (1962) und Doctor Strange (1963) mit Steve Ditko. An Daredevil (1964) waren auch Kirby und Bill Everett beteiligt. Auch Silver Surfer (1966), Doctor Doom (1962), Wasp (1963), Quicksilver (1964), Black Panther (1966) oder das Superhelden-Team The Avengers (1963) haben Lee und Kirby erfunden.

Der öffentliche Stan Lee

Die schiere Menge an Figuren, so Comic-Experte Volkmer, ist auch ein Unterscheidungsmerkmal von anderen Größen der Zunft: Bob Kane schuf gemeinsam mit Bill Finger Batman. Joe Shuster und Jerry Siegel dachten sich Superman aus. Aber Stan Lee erfand eine ganze Legion an Lebensrettern. „Außerdem hat man Stan Lee schon relativ früh mit seinen Figuren verbunden. Das war nicht immer allen Comic-Schaffenden dieser Zeit möglich gewesen.“ Bill Finger wurde zum Beispiel über viele Jahrzehnte totgeschwiegen, obwohl er wesentlichen Anteil am Mythos Batman hatte. Carl Barks, der durch die schiere Anzahl der von ihm erdachten Comic-Figuren wie Dagobert Duck, Gustav Gans, der Panzerknacker oder Daniel Düsentrieb mit Stan Lee gleichziehen kann, heimste seinen Ruhm erst Jahrzehnte später ein.

Stan Lee starb am 12. November 2018 - vor genau fünf Jahren
Stan Lee starb am 12. November 2018 - vor genau fünf Jahren © AP / Matt Sayles

Seifenopern

Und dann ist da die Sache mit dem Privaten: „Stan Lee hat die Superhelden wieder menschlich gemacht. Er hat Superhelden-Soaps geschaffen. Das Privatleben der Figuren wurde aber auch zeitweilig wichtiger als der Kampf mit den Schurken“, erklärt Volkmer. Lee, der aus einem Haus rumänisch-jüdischer Einwanderer stammte, öffnete für die Leserschaft das Innenleben der Superhelden. Mit Spider-Man, Hulk oder den X-Men schuf Lee einige der populärsten Figuren unserer Zeit: Auf der großen Leinwand wie als Aufdruck auf einem T-Shirt, als Gif oder eben als Comic. Allein die Marvel-Filme spielten 28 Milliarden Euro ein - heute gehört Marvel Enterprises dem Disney-Konzern.

Die Superhelden von Lee sind nicht erst seit dem Franchise des Marvel Cinematic Universe zum omnipräsenten Begleiter geworden. In Hulk sehen wir kindliche Wutausbrüche reflektiert, in Thor erwacht die nordische Götterwelt, die X-Men repräsentieren als Mutanten das Andere als Besonderes, in den Geschichten von Tony Stark erleben wir den unbändigen Forscherdrang eines Milliardärs. Die Ursprungs-Mythen, die Lee seinen Helden gab, werden zwar variiert, aber haben Bestand. Der frühe Lee, so Volkmer, war ein Energiebündel: 1963, vor genau 70 Jahren, schuf er Thor, Iron Man, X-Men und andere Helden. Stan Lee selbst war über viele Jahre das Gesicht von Marvel: „Er war ein Mentor und eine Vaterfigur für andere Comic-Künstler und Künstlerinnen“, sagt Volkmer - auf dessen Schaffenskraft man noch heute mit Ehrfurcht blickt.

Stan Lee privat: Wie könnte es anders sein
Stan Lee privat: Wie könnte es anders sein © Panini