Im Wiener Volkstheater wurden am Sonntagabend die 24. Nestroy-Preise verliehen. Mit ihnen werden herausragende Bühnenproduktionen sowie Künstlerinnen und Künstler der vergangenen Theatersaison geehrt. Die von ORF III zeitversetzt übertragene Gala wurde von Nadja Bernhard und Peter Fässlacher moderiert. Mit den Preisen für die besten Schauspielleistungen wurden Michael Maertens und Saioa Alvarez Ruiz ausgezeichnet, Tomas Schweigen erhielt die Auszeichnung für „Beste Regie“.
Zu den ersten Preisträgern des Abends zählten das Schauspielhaus Graz für die beste Bundesländer-Aufführung und Nick Romeo Reimann, der den Publikumspreis erhielt.
Die Gala fand im Bühnenbild der Volkstheater-Produktion „Apokalypse Miau“ statt, in der es um die Verleihung des Theaterpreises „Destroy“ (sic!) geht. Den Lebenswerk-Preis nahm Emmy Werner entgegen, die zuvor von Laudator Karl Markovics gewürdigt wurde: „Ich kenne niemanden, auf den diese Auszeichnung so zutrifft, wie auf sie: Emmy Werner ist ein Lebenswerk! Leben und Werk gehören bei ihr untrennbar zusammen. Ich kenne keinen gegenwärtigeren Menschen als Emmy Werner.“ Werner, die jahrelang das Volkstheater leitete, fand es etwas komisch, in dieser Rolle wieder auf dieser Bühne zu stehen: „Gerade da muss das sein, auf dieser Bühne“, so Werner, die in ihrer (auch) vorab aufgezeichneten Dankesrede einen Rückblick auf ihren Weg gab. „Theater ist und bleibt ein Überlebensmittel. Daran wird auch die Künstliche Intelligenz nix ändern können!“ Bezug nehmend auf die aktuelle weltpolitische Situation mahnte Werner „Achtsamkeit“ ein.
Publikumspreis an Nick Romeo Reimann
Im Sommer gab er - wie jüngst bekannt wurde - für eine einzige Saison den „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen, seine Rolle als Friedrich Hofreiter in Arthur Schnitzlers „Das weite Land“ in der Regie von Barbara Frey bescherte Michael Maertens nun seinen bereits dritten Nestroy als bester Hauptdarsteller. Seine Dankesrede bestritt er mit einem Witz, den der heuer verstorbene Peter Simonischek einst erzählt hatte: Bei einem angespielten Statement zum „Jedermann“ tat Maertens so, als wäre das Mikrofon ausgefallen. Als beste Schauspielerin wurde im Anschluss die Berliner Performerin Saioa Alvarez Ruiz für ihre Rolle in Holzingers „Ophelia‘s Got Talent“ ausgezeichnet. „Sie beeindruckt mit faszinierender Bühnenpräsenz, doppelbödigem Witz und Draufgängertum - und macht absolut nicht, was man von Menschen mit Behinderung im Theater gewohnt ist“, hieß es in der Jury-Begründung. „Ich wünsche mir mehr von diesen starken, selbstbestimmten Rollen. Ich hoffe, das ist erst der Anfang!“, so Alvarez Ruiz in Richtung der Regisseurin Holzinger.
Mit „Faarm Animaal“ nach George Orwell sorgte Schauspielhaus Wien-Direktor zu Beginn seiner letzten Saison für einen großen Erfolg, wofür er nun einen Nestroy-Preis für die beste Regie erhielt. Die Stückkreation erzählt - entfernt von Orwells Fabel - von einer Gesellschaft, die alte Gewohnheiten ablegen möchte, mehr noch: die das Menschsein überwinden möchte, um sich Tieren anzuverwandeln. „Die Inszenierung wandelt auf einem tragikomischen Grat zwischen Slapstick und Tristesse und zeigt Menschen beim verzweifelten Versuch, Dinge zu verlernen, und wie sie trotz allem Bestreben nicht aus ihrer eigenen Haut herauskönnen“, so die Jury aus sieben heimischen Kritikerinnen und Kritikern unter dem Vorsitz von Alexandra Althoff.
„Unglaublich freie Arbeit“
Wie wird aus vermeintlicher Steuerhinterziehung ein fesselnder Theaterabend? Das zeigt Regisseur Jossi Wieler laut Jury-Begründung für die „Beste deutschsprachige Inszenierung“ auf eindrucksvolle Weise mit der Uraufführung von Elfriede Jelineks mäanderndem, sehr persönlichen Monolog „Angabe der Person“ am Deutschen Theater in Berlin. Wieler freute sich in seiner Dankesrede über die „unglaublich freie Arbeit“, die in dieser Inszenierung ermöglicht worden sei.
Der Preis für die beste Bundesländer-Aufführung ging in die Steiermark: Große Freude herrschte bei Claudia Bossard, die für ihre schillernde Neudeutung „Bunbury. Ernst sein is everything!“ von Oscar Wilde am Schauspielhaus Graz ausgezeichnet wurde, womit das Haus nach 2021 und 2022 das dritte Mal in Folge mit dem Preis bedacht wurde. Die Regisseurin dankte ihrem gesamten Team und der ehemaligen Grazer Intendantin Iris Laufenberg, die mit der aktuellen Saison ans Deutsche Theater Berlin gewechselt hat und die u.a. gemeinsam mit dem als „Bester Schauspieler“ nominierten Frieder Langenberger auf der Bühne stand, um den Preis entgegen zu nehmen.
Publikumspreis an Nick Romeo Reimann
Der durch Online-Wahl von ORF III bestimmte Publikumspreis ging an Nick Romeo Reimann, der zuletzt am Volkstheater in Ingeborg Bachmanns „Malina“ in der Bühnenfassung von Claudia Bauer zu sehen war. Reimann nutzte seine Dankesrede für ein politisches Statement: „In einer Zeit, in der Rechte und Rechtsextreme teils zweitstärkste Kraft sind und ein rechter Kanzler-Kandidat allen ‚echten Frauen‘ dankt, dass sie ihren Männern den Rücken frei halten und in Wien ein jüdischer Friedhof brennt - in dieser Zeit haben wir alle eine Bühne im Herzen der Stadt, wo wir Komplexität, Vielfalt und Empathie sprechen lassen können“, so Reimann.
Eine Neuerung gab es in der Kategorie „Bester Nachwuchs“, der bisher getrennt in den Kategorien männlich/weiblich vergeben wurde: In der neuen Kategorie „Bester Nachwuchs Autor*in, Bühne, Kostüm, Musik“ wurde die/der 1998 in Zürich geborene nonbinäre Autor:in Selma Kay Matter für ihr/sein Klimastück „Grelle Tage“ gewürdigt, das am Schauspielhaus Wien in der Regie von Charlotte Lorenz zur Uraufführung kam. „Ich versuche die Stücke zu schreiben, die mir am Theater fehlen“, so der/die queere Autor/in.
Neue Kategorie „Nachwuchs“
In der ebenfalls neuen Kategorie „Bester Nachwuchs Schauspiel“ wurde der 1997 in Brixen geborene Schauspieler Tommy Fischnaller-Wachtler von der Jury für seine bemerkenswerte Leistung als kokette, ihrem männlichen Umfeld weit überlegene Effi Briest in „Effi Briest“ von Moritz Franz Beichl frei nach dem Roman von Theodor Fontane (Bronski & Grünberg Theater) gewürdigt. Der Schauspieler lobte in seiner Rede das gute Arbeitsklima in der Produktion und rief dazu auf, dieses zum Standard zu machen.
Wie bereits im Vorhinein bekannt, wurde Thomas Perle für das im Burgtheater-Vestibül uraufgeführte Stück „karpatenflecken“ mit dem Autor:innenpreis ausgezeichnet. Das Siegerstück des Retzhofer Dramapreises 2019 ist auf den ersten Blick eine Familiengeschichte, zugleich aber eine raffinierte Europa-Reflexion. „Sein visionären Blick kommt einer Warnung gleich“, hieß es in der Laudatio. „Mein Anliegen ist es, dass ich gegen den Nationalismus schreibe. Der Preis ist eine Chance, diese Arbeit fortzuführen“, freute sich der Autor. Er war auch der Erste, die auf die aktuelle Krise in Nahost reagierte: „Es fehlen die Worte und es verschwindet ein bisschen die Hoffnung. Wir tragen alle Verantwortung für Geschehen, für Geschichte. Ich will die Hoffnung nicht verlieren.“
Erste Prämierung
Die vielfach nominierte Produktion „Ophelia‘s Got Talent“ von Florentina Holzinger, die als Koproduktion mit dem Tanzquartier Wien im Volkstheater Wien zu sehen war, erhielt mit der Prämierung des Bühnenbildners Nikola Knežević eine erste Auszeichnung. Die Bühne überzeugte u.a. mit gigantischen Wasserbecken und einem Hubschrauber, der vom Himmel stürzte.
In der Kategorie der besten Off-Produktion setzten sich „Die Rabtaldirndln“ und Nadja Brachvogel mit ihrem im Wiener Kosmos Theater gezeigten Koproduktion „Ahnfrauen“ durch. Um die Geburt des Kollektivs zu feiern, machten Barbara Carli, Rosa Degen-Faschinger, Bea Dermond und Gudrun Maier ein Stück über ihre Mütter. „Wir suchen uns Themen, wo wir der Meinung sind, da müssen wir als Gesellschaft nachdenken. Und diese Themen werden immer mehr“, so die Ausgezeichneten bei ihrer Dankesrede.
Der Spezialpreis ging mit „Heimweh“ an eine performative Installation im WUK. In der außergewöhnlichen Arbeit setzen sich die „Darum“-Masterminds Victoria Halper und Kai Krösche mit jenen Verbrechen auseinander, welche die Schutzbefohlene in den kirchlichen und städtischen Heimen des Landes von den 1950er- bis in die 1980er-Jahre hinein erdulden mussten. Den Opfern gaben die beiden auch in ihrer emotionalen Dankesrede eine Stimme.
Über den Preis für die beste Nebenrolle freute sich schließlich Dorothee Hartinger, die für ihre Rolle der Haushälterin Rosa in Anita Vulesicas Inszenierung von „Der Raub der Sabinerinnen“ von Franz und Paul von Schönthan im Akademietheater prämiert wurde. Die Schauspielerin hielt ein Plädoyer für das „subventionierte Theater“: „Solange es Theater gibt, gibt es Hoffnung!“