Es kann überall passieren - bei der morgendlichen Laufrunde, beim Einkaufen im Supermarkt, beim Spaziergang oder sogar am Arbeitsplatz. Die Rede ist von anzüglichen Bemerkungen, die allzu gerne als Komplimente getarnt werden. Ein paar Beispiele gefällig? „Hey Puppe!", „Du hast aber einen knackigen Hintern!" oder einfach nur Pfiffe und Kuss-Geräusche. Doch das sind keine Flirtversuche, es ist sexuelle Belästigung. Sogar im Homeoffice kann es zu solchen Vorfällen kommen, wie Ruthild Unterüberbacher von der Kärntner Gleichbehandlungsanwaltschaft - Anlaufstelle für sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz - weiß. Aber wie genau wird sexuelle Belästigung definiert?
Gleich vorweg: Eine einheitliche Regelung dafür gibt es nicht — wo genau die Grenze liegt, hängt immer vom subjektiven Empfinden ab. Aber Unterüberbacher nennt Anhaltspunkte: „Wenn ich merke, dass die Situation nicht mehr auf Augenhöhe gegeben ist, wenn ich mich subjektiv in meiner Würde verletzt oder unwohl fühle, wenn ein Machtungleichgewicht hergestellt ist, dann ist das sexuelle Belästigung.“ Und: „Sexuelle Belästigung hat nichts mit Sexualität oder Begehren in diesem Sinne zu tun. Es ist eine sexuell gefärbte Machtausübung.“ 96 Prozent der Betroffenen, die sich bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft melden, sind Frauen. Die Täter? Meist männlich, wobei sexuelle Belästigung natürlich auch von einer Frau ausgehen kann.
Hohe Dunkelziffer
„Ihr Hintern ist aber nicht mehr so knackig, jetzt wo die Fitnessstudios zu sind“: Dieser Vorfall, eine Aussage gegenüber einer Kollegin, beschäftigt aktuell die Gleichbehandlungsanwaltschaft. Das ist eines der gut 240 Beispiele, die bei der Organisation österreichweit einlangen. Unterüberbacher ist sich sicher: „Die Dunkelziffer solcher Vorfälle ist wesentlich höher.“ Sie ermutigt Betroffene, sich zu melden. Denn Aussagen wie diese haben rechtliche Folgen - nicht nur für den Täter, sondern auch für den Arbeitgeber, sollte dieser nicht Abhilfe schaffen. „Der Schadenersatz beträgt mindestens 1.000 Euro“, sagt Unterüberbacher. Auch wenn Augenzeugen und „Beweise“ wie Chatnachrichten hilfreich sind, gilt die sogenannte Beweislastumkehr. „Es geht um die Glaubwürdigkeit der Betroffenen, nicht um den Beweis.“
Catcalls of Graz: Verein zeigt Missstand auf
Während Betroffene bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz also intervenieren können, gibt es bei Fällen im öffentlichen Raum rechtlich gesehen noch wenig Handhabe. Eine Situation, die der Verein „Catcalls of Graz“ im wahrsten Sinne des Wortes ankreidet. Schon seit 2019 postet das Team rund um Sarah Kampitsch auf sozialen Netzwerken über solche verbalen Übergriffe. Mit Kreide schreiben sie Sprüche, die Frauen - und teils auch Männer - von Fremdem zu hören bekommen haben, auf den Straßen der Stadt nieder. Inspiriert wurde das Projekt durch eine ähnliche Initiative aus New York.
„Ich selbst habe auch schon viele ,Catcalls‘, also verbale, sexuelle Belästigungen, zu hören bekommen“, sagt Kampitsch. „Also Sachen wie ,Kommst mit mir mit?‘.“ Regelmäßig bekommt Kampitsch auch Nachrichten von anderen Betroffenen. „Da sind heftige Sachen dabei, Dinge wie ,Hey du Stute, ich f*ck dich ordentlich durch‘.“ Häufig kommt es auch zu homophoben oder transfeindlichen Äußerungen. Solche Sprüche als Flirtversuche abzutun, wie es seitens der Täter oft der Fall ist, wäre eine maßlose Untertreibung. „Betroffene werden dadurch traumatisiert. Solche Vorfälle lösen Angst aus und man überlegt sich dann zum Beispiel doppelt und dreifach, was man denn anzieht.“ Denn Täter sehen sich oft durch das Auftreten des Opfers „provoziert“, was natürlich komplett haltlos ist.
Im vergangenen Jahr hat der Verein „Catcalls of Graz“ auch eine Petition gestartet. Das Ziel? „Catcalling“ soll in Zukunft strafbar werden, so wie es etwa in Frankreich bereits der Fall ist. „Gegen Beschimpfungen im öffentlichen Raum gibt es in Österreich bereits Gesetze“, sagt Kampitsch. So darf man jemanden in der Öffentlichkeit zum Beispiel nicht als „bescheuert“ oder „Schwein“ bezeichnen. Ein Gesetz, das auch verbale sexuelle Belästigung im Öffentlichen Raum ahndet, gibt Betroffenen zumindest ein Werkzeug in die Hand, so Kampitsch.
„Im öffentlichen Raum hatten Frauen schon immer weniger Platz. In Österreich erfasst das Strafgesetzbuch diesbezüglich sexuelle Belästigung erst, wenn der Täter oder die Täterin handgreiflich wird“, sagt Unterüberbacher. Dabei beginnt sexuelle Belästigung schon viel früher. Auch wenn es schwierig sein könnte, Catcall-Täter ausfindig zu machen, begrüßt die Gleichbehandlungsanwaltschaft eine Weiterentwicklung des Strafrechts.
Claudia Mann