Der technische Fortschritt lässt sich bequem auch mal für einige Jahrzehnte ignorieren. Das beste Beispiel für diese Art der Weltanschauung ist der Land Rover von 1948. Dass er ein durch und durch britisches Fahrzeug ist, mit vom Charakter gehärteten Blech bis über die Regenrinne, hat seine Fangemeinde nur vergrößert und ihm ein biblisches Alter verliehen: Es gibt kein anderes Automobil, dass so lange prinzipiell unverändert gebaut wurde – ein Stahlrahmen mit aufgesetzter Alukarosserie in diversen Varianten. Sogar der Produktionsstandort war all die Jahre unverändert eine Fabrik im Osten Birminghams.
Die Firmenchronik liefert unzählige Belege über den Land Rover als unzerstörbares Werkzeug für Waldarbeiter, Weltentdecker und Wildhüter. Unschlagbar die Geländeeigenschaften, durch unzählige Expeditionen ins Gedächtnis gebrannt. Nicht zu vergessen die populistische Variante namens Camel-Trophy, bei der das Marketing zwar primär für die Glimmstängel gedacht war, die Aufmerksamkeit für das Vehikel aber ebenso beflügelte. Hier darf der Begriff Ikone ernsthaft verwendet werden. Der Vorgänger wurde bis 2015 gebaut.
Die ausgedehnte Pause bis zum Nachfolger hatte nicht etwa damit zu tun, dass man den Vorgänger in Vergessenheit geraten lassen wollte. Vielleicht sollte man auch Designchef Gerry McGovern in Ruhe seine Fingerübungen machen lassen. Der Mann ist unbestritten eines der größten Genies des modernen „transportation design“ – aber einen Defender-Nachfolger macht nicht mal ein Typ wie er einfach nebenbei.
Heraus kam ein sehr ausgeschlafen wirkendes Statement auf Rädern, das den alten Defender zwar zitiert, aber nicht nachäfft. Die ersten 110er-Defender mit dem langen Radstand und vier Türen werden ausgeliefert; bald folgt der Zweitürer namens 90. Die Zahlen bezeichneten immer schon den Abstand von Vorder- und Hinterachse, in Inches gemessen. Der Einfachheit halber: 90 = kurz (4,58 Meter Gesamtlänge), 110 steht für lang (5,02 Meter). Weitere Versionen nicht ausgeschlossen.
War der alte Land Rover auf der Straße anstrengend zu fahren, mit einer Lenkung als Instrument des betrieblichen Vorschlagswesens und einer Sitzposition, die den Orthopäden erfreut, jedoch nicht den Patienten. Hier ist der Fortschritt auf Anhieb spürbar. Man sitzt hoch und trocken und blickt aus einer bequemen Haltung mit guter Übersicht auf allerlei Mobile vom Schlage eines gewöhnlichen SUV herab. Auf Augenhöhe ist man eher mit den Fahrern von Lieferwagen. Die Windgeräusche, die beim alten Defender bisweilen zum Orkan auffrischen konnten, sind nun erstaunlich gering.
Das Ziel der Fahrwerksentwicklung war, die Performance auf der Straße kontinuierlich zu erhöhen, ohne jene im Gelände zu kompromittieren. Das ist mehr als gelungen. Über Land fährt sich der neue Defender wie ein normaler großer SUV. Die wahre Überraschung liegt jenseits der Straße. Wer einmal erlebt hat, welch Schwerstarbeit und Konzentration das Fahren über Stock und Stein erfordert, der wird erleichtert sein über die Fülle an elektronischen Fahrhilfen, die der neue Defender bietet, um Havarien zu vermeiden.
Doch erst die Grundkonstruktion mit großer Bodenfreiheit und kurzen Überhängen macht das möglich, und naturgemäß ist der 90er deutlich wendiger als der 110er. Das optionale Luftfahrwerk bietet bis zu sieben Zentimeter mehr Luft unterm Chassis als mit Stahlfedern, doch selbst das reicht in der Mehrzahl aller Fälle aus, wie die Testfahrten im übelsten Morast des hauseigenen Erprobungsgeländes von Eastnor Castle belegen. Selbstverständlich sind alle Helferlein abschaltbar. Die in allen Versionen serienmäßige Achtgangautomatik verfügt ebenso selbstverständlich über manuell schaltbare Fahrstufen.
Standardmotorisierung ist ein Zweiliter-Vierzylinder als Benziner (300 PS). Gegen den Trend hält Land Rover beim Defender am Sechszylinder-Diesel (200 bis 300 PS) fest, mehr noch: Man hat eine Neuentwicklung installiert, einen geschmeidig laufenden Reihensechser. Man mag es ja bei aller Dieselfeindlichkeit gar nicht laut sagen, aber unter uns: Dieser Dreiliter-Turbo, als milder Hybrid ausgelegt, ist eine Wucht, samt heiserem Sound. Auch das darf mit Fug und Recht als wahrer Fortschritt bezeichnet werden.