Ein Wochenende im Frühherbst 2017. Es ist sonnig, trocken und windstill. Der Chiron rollt in Startposition. Am Steuer Rennfahrer Juan Pablo Montoya. Vor ihm eine lange Gerade. Er aktiviert mit dem für Bugatti typischen „Top Speed Key“ den „Top Speed Modus“, der erlaubt, einen Chiron schneller als 380 km/h zu fahren. Ein Signalton erklingt. Mit dem linken Fuß tritt er kräftig auf das Bremspedal. Montoya legt den ersten Gang ein. Dann aktiviert er die Launch Control. Das digitale Display links neben dem Tacho bestätigt die Eingabe des Kommandos. Das 1500-PS-Biest wacht auf. Auf die Plätze!
Was ist nun der Sinn der Übung? Bugatti hat Montoya eingeladen, das Fahrmanöver 0-400-0 km/h unter Realbedingungen zu fahren, um die Ausnahmestellung des Chiron auch in Sachen Beschleunigung und Bremsen zu belegen. Montoya gibt also mit seinem rechten Fuß maximalen Druck auf das Gaspedal. Der 8-Liter-W16-Motor läuft mit 2800 Umdrehungen pro Minute. Die gewaltigen Turbolader fahren hoch. Das Biest lässt keinen Zweifel daran, dass es losgelassen werden will.
Fertig! Montoya nimmt den Fuß von der Bremse. Los! Die vier gleichmäßig angetriebenen Räder des Chiron packen den Asphalt mit voller Kraft. Mit maximalem Drehmoment schießt der Wagen nach vorn. Die Traktionskontrolle stellt sicher, dass die Räder nicht durchdrehen. Gemeinsam mit der ESC (Electronic Stability Control) sorgt sie dafür, dass der Chiron wie auf Schienen nach vorne katapultiert wird. Erst bei rund 3800 Umdrehungen werden die übrigen zwei Turbolader dazu geschaltet. Vollgas. Aus einem Gramm Gummi der Reifen werden bei einer Geschwindigkeit von 400 km/h durch die Fliehkräfte 3600 Gramm. Und ein Reifenventil, das bei Fahrzeugstillstand 18,3 Gramm wiegt, wird dann mit circa 45 Kilogramm zu einem „Schwergewicht“.
Die Zeitnahme läuft. Die Welt fliegt vorbei. Ganze 32,6 Sekunden und gerade einmal 2621 Meter später erreicht der Chiron die 400 km/h-Schwelle. Extrem reaktionsschnell leitet Montoya die Vollbremsung ein. In nur 0,8 Sekunden nach Betätigung der Bremse fährt der 1,50 Meter breite Heckflügel in einen Anstellwinkel von 49 Grad aus und wird damit zur Airbrake. Im Top-Speed-Modus bewirkt sie bei 400 km/h eine Zunahme des aerodynamischen Abtriebs von circa 900 Kilo an der Hinterachse. Das entspricht etwa dem Leergewicht eines Golf II. In Moment der Vollbremsung bei 400 km/h mit einem Chiron wirken Kräfte von etwa 2 g auf Fahrzeug und Fahrer, wie sie ungefähr beim Start des Space Shuttle entstehen.
Die Bremsen des Chiron bringen mit ihren speziellen Carbon-Keramik-Scheiben und eigens für Bugatti entwickelten Sätteln, die an der Vorderachse über jeweils acht und an der Hinterachse über jeweils sechs Titankolben verfügen, jetzt absolute Höchstleistung. Nach 9,3 Sekunden und 491 Metern kommt der Chiron zum Stehen. Das GPS-basierte Messgerät V-Box 3i der anwesenden Gutachter vom international tätigen unabhängigen Prüf- und Zertifizierungsunternehmens SGS/TÜV Saar zeigt 41,96 Sekunden an. Der Weltrekord ist in trockenen Tüchern. Zurückgelegt hat der Chiron in dieser Zeit eine Strecke von nicht mehr als 3112 Metern.
Bugatti hat für sein 0-400-0-Projekt mit Juan Pablo Montoya einen ausgewiesenen Experten für Geschwindigkeit und Performance eingeladen. Dieser folgte der Einladung ohne Zögern. „Mein erster Gedanke war, dass ich, egal was Bugatti von mir wollte, alles tun würde, um dieses unglaubliche Auto fahren zu dürfen.“ Montoya ist begeistert von der Beschleunigung und Bremsleistung des Chiron. „Er ist so unglaublich schnell, dass es einem den Atem verschlägt. Aber mindestens genau so beeindruckend bremst er“, beschreibt er seine Eindrücke nach der Rekordfahrt. „Dabei ist der Wagen extrem stabil und berechenbar.“
Der 41-jährige Kolumbianer verzichtete nach einer Proberunde darauf, die übliche Sicherheitsausrüstung, wie Rennanzug, Helm oder HANS-System (Kopf-und-Nacken-Stütze), für die Fahrt zu tragen. „Natürlich ist der Chiron ein Supersportwagen, dem man seine volle Aufmerksamkeit schenken sollte, wenn man am Steuer sitzt. Gleichzeitig hat er mir aber so viel Sicherheit und Verlässlichkeit vermittelt, dass ich die zwei Tage mit dem Wagen super entspannt war und extrem viel Spaß hatte.“
An diesem Weltrekordwochenende fuhr Juan Pablo Montoya übrigens 17 Mal schneller als 400 km/h und nutzte dabei ganz nebenbei die Gelegenheit, seinen persönlichen Geschwindigkeitsrekord von 407 km/h mit einem IndyCar-Rennwagen auf nun 420 km/h zu verbessern. „Es ist schon unglaublich zu sehen, dass für die 0-400-0-Fahrt nicht die aufwändigen Vorbereitungen notwendig waren, wie sie bei uns im Rennsport üblich sind“, so Montoya. „Mit dem Chiron war alles einfach. Einsteigen und losfahren. Unglaublich.“
„Ich hoffe, dass mir Bugatti eine Einladung zur Geschwindigkeitsweltrekordfahrt mit dem Chiron schickt. Den Termin halte ich mir auf jeden Fall in meinem Kalender frei“, verabschiedet sich Juan Pablo Montoya. Bugatti plant, 2018 einen neuen Geschwindigkeitsweltrekord zu fahren und damit den noch bestehenden Rekord des Veyron 16.4 Super Sport aus dem Jahr 2010 mit einer Spitzengeschwindigkeit von 431,072 km/h zu überbieten. Übrigens: Bereits 300 des auf 500 Fahrzeuge limitierten
Supersportwagens sind verkauft.