Ein Verkehrsstau regt ihn schon lange nicht mehr auf. Und außerdem hat Michael Schreckenberg das Thema ja berühmt gemacht: Mit Kai Nagel formulierte er ein theoretisches Modell zur Simulation des Straßenverkehrs, mit dem er alle möglichen Stauvoraussagen erstellen kann.
Stau entsteht aus dem Nichts als Folge der Nicht-Einhaltung des Sicherheitsabstandes, heißt es. Oder: Neben der allgemeinen Straßenüberlastung sind „bis zu 20 Prozent auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen“. Man bleibe stehen, wo man nicht stehen bleiben sollte und müsste. Das „Nagel-Schreckenberg-Modell“ beinhaltet Elemente der Chaosforschung und der Spieltheorie.
Schon im alten Rom habe man gestaut, und „wir werden den Stau auch nicht mehr beseitigen“, so Schreckenberg. Man müsse deshalb intelligente Systeme erfinden und sich arrangieren. „Autofahren im Stau ist an sich tote Zeit. Sie regen sich über andere auf, die einen Stau verursachen, dabei stehen Sie selbst mittendrin. Ablenkung sei deshalb das Thema der Stunde.“ Und: „Männer könnten sich weniger mit einem Stau abfinden als Frauen - sie verarbeiten das schlechter.“
Audi wagt mit dem neuen A8 einen großen Schritt Richtung Stau-Entertainment, pardon Stauablenkung: Der Staupilot erlaubt es, das Auto auf der Autobahn bis 60 km/h der Regie des Bordcomputers zu überlassen. Über Laserscanner, Ultraschallsensoren und Radarwächter lenkt dieser das Auto. Der Bildschirm im Cockpit verändert sich, alle Systeme sind doppelt abgesichert, der Fahrer muss die Hände nicht mehr am Lenkrad haben. Er kann Videos schauen etc. Das ist neu, dafür läuft der internationale Zulassungsprozess, und es wäre damit der dritte von fünf Leveln des autonomen Fahrens erreicht.
Der erste Test im Stau verlief überzeugend: Knopferl drücken, und der Bordcomputer übernimmt. Voraussetzung: Man fährt auf einer Autobahn und es gibt die Trennung der Fahrbahnen. Eine Fahrerbeobachtungskamera überprüft, ob der Fahrer einschläft (Kopf-/Lidbewegungen). Wenn man nicht reagiert, erklingen Warntöne, der Gurtstraffer zieht mehrmals scharf an, und wenn man untätig bleibt, wird das Auto abgebremst. Zehn Sekunden hat man Zeit zu reagieren, dann gibt das Auto einen Notruf ab und bleibt stehen.
Das System funktioniert derzeit nur auf Autobahnen. Die zuständigen Algorithmen - rechnerische Lösungsschemata, die vereinfacht erklärt kritische Situationen für den Bordcomputer mit einem vorgeschlagenen Fahrmanöver lösen - wären im Stadtverkehr überfordert. Der Stadtverkehr mit all seinen Unabwägbarkeiten ist derzeit zu viel Chaos für Algorithmen und Rechnerkapazität.
Kuriose Detail am Rande: Österreichs Politik feiert unser Land ja als Vorzeigeregion für autonomes Fahren. Erlaubt ist es aber nur für gemeldete Firmen-Testfahrten. Privatnutzer müssen laut Gesetz immer noch eine Hand am Lenkrad haben, selbst wenn das System international zugelassen wäre. Auch hier soll nachgebessert werden.
Didi Hubmann