Tatsache ist: Die Generation Z gibt das Tempo für die Mobilität der Zukunft vor. Tickt diese Generation in Sachen Mobilität tatsächlich anders?
STEFAN PIERER: Wir sehen große Unterschiede zwischen Stadt und Land. Am Land ist nach wie vor Mobilität die Teilnahme an der sozialen Community. Dort sehe ich den sogenannten Fortbewegungserlaubnisschein noch nicht so hinterfragt wie in der Stadt. Dort heißt es: Wozu braucht man einen Führerschein, wenn man nur in der Stadt lebt? Viele Junge, die in der Stadt leben, musst du zum Führerschein drängen.

Junge Menschen suchen sich maßgeschneiderte Mobilitätsmodelle. Spielt diese Entwicklung Zweiradherstellern in die Hände?
GERALD KISKA: Es ist kein harter Bruch. Aber man merkt eine Veränderung, wofür junge Menschen ihr Geld in der Mobilität ausgeben wollen. Ich habe über 300 Leute bei uns im Designbüro, Durchschnittsalter unter 30 Jahren. Im Fahrradkeller stehen mindestens 60 Räder, das billigste kostet 3500 Euro. Wenn Sie auf den Parkplatz schauen, dann finden Sie noch ein paar ältere Autos, die liebevoll am Laufen gehalten werden. Da merkt man den Unterschied. Für notwendige Mobilität – einkaufen, in die Arbeit fahren etc. – wird weniger, für den individuellen Spaß mehr ausgegeben. Und das ist im Moment eher Fahrrad, E-Motorrad oder Motorrad. Wenn man fürs Möbelholen ein Auto braucht, dann kommt ein Sharing-Modell ins Spiel.

Gerald Kiska
Gerald Kiska © KK
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Der Wertewandel ist voll im Gange, die Menschen orientieren sich vielschichtiger als je zuvor. Verliert das Auto seine Rolle als Statussysmbol?
PIERER: Ja, aber man darf nicht unterschätzen, was da passiert: E-Fahrräder kosten heute so viel, dass sie beim oberen Einstiegspreis für Motorräder/Roller angekommen sind. Dafür kriege ich schon einen günstigen Dacia. Das heißt, man möchte sich schon unterscheiden in seiner individuellen Mobilität. Mobilität und Statussymbole wird es immer geben, aber Junge fah­ren nicht unbedingt mit dem tiefer gelegten BMW daher.

Wie schaut es aus im Wertewandel mit der Markenloyalität? Kann es passieren, dass die Generation Z sagt: Ich kaufe mir ein chinesisches Auto, die klassischen Marken interessieren mich nicht mehr.
KISKA: Bevor ich kein Auto habe, sage ich lieber, es kommt ein Auto ins Haus, das nicht so teuer ist. Da merkt man, dass das Auto, in das früher Engagement und Geld geflossen sind, nicht mehr so zieht. Es gibt heute andere Möglichkeiten nonverbaler Kommunikation. Dabei geht es um Dinge, die man nicht 100-prozentig braucht, Dinge zur Selbstdarstellung, zur Positionierung.
PIERER: Die Rolle des Autos ist verschwommen oder weg.

Stefan Pierer
Stefan Pierer © KK


Aber die autonomen E-Autos, von denen man träumt?
PIERER: Das werden eher Taxis sein, ein Teil der Mobilität.

KTM-Plan: Die Verschmelzung von E-Rad und E-Moped kommt
KTM-Plan: Die Verschmelzung von E-Rad und E-Moped kommt © KTM


Und der E-Roller-Markt?
KISKA: Der E-Roller-Markt zerfällt noch in einen ganz billigen asiatischen Markt und einen Piaggio-Markt. Oben ist es eine Imagegeschichte, unten eine Preisgeschichte. Gegen beides kommt der E-Roller nicht an.

Bei E-Mountainbikes gibt es eine rasante Entwicklung.
PIERER: Ja, aber viele E-Bikes werden aufgemacht, viele sind illegal unterwegs. Wenn die Unfallzeilen weiter steigen, dann kommt eine gute Idee in Verruf. Fragt in den Krankenhäusern oder redet mit Bergrettern. Die holen die Leute nicht aus der Wand, sondern von den Mountainbikestrecken. Deshalb müssen E-Bikes reguliert werden, wir brauchen eine Helmpflicht, ein Bremslicht, Front-Rücklicht und eine Plakette, damit man es erkennt.

Wo steht das Zweirad in der autonomen Mobilitätswelt? Der Motorradfahrer wäre der letzte Unsicherheitsfaktor, weil man nicht so eingreifen kann wie bei einem Auto. Der Motorradfahrer als letzte Fehlerquelle im System?
PIERER: Was heißt Fehlerquelle? Die Wheel-to-Wheel-Vehicle-to-Vehicle gesetzlich festgeschrieben, ab 2024. Dann liefert das Motorrad Daten an Autos. Man weiß, was um die Kurve daherkommt. Und die Unfallzahlen heute sagen: In mehr als 50 Prozent der Fälle ist der Motorradfahrer nicht schuld.
KISKA: Und es werden nicht alle plötzlich und auf einen Schlag auf der Straße autonom daherfahren.
PIERER: Es wird zuerst einmal bestimmte Abschnitte als autonome Bereiche geben.
KISKA: Ja, denn es reicht heute ja eine Spraydose, um ein autonomes Auto außer Gefecht zu setzen, indem du ein Verkehrszeichen übermalst.

Aber dafür haben wir morgen die E-Mobilität, wie die Politik so gerne verspricht.
PIERER: Viele Politiker haben keine Ahnung von elektrischen, chemischen Grundgesetzen und den Zusammenhängen mit der E-Mobilität.
KISKA: Wenn man in Deutschland großflächig auf E-Mobilität umstellt, dann braucht man 25, 26 Prozent mehr Strom. Woher kommt der? Alles aus sauberen Quellen?
PIERER: Dazu kommt: Du brauchst einen Power Grid, du musst den Strom ja transportieren. Norwegen hat ein wirklich solides Power-Grid-System, wenn alle gleichzeitig laden, ist es auch am Zusammenbrechen. Es ist verantwortungslos, welche Versprechungen die Politik in Sachen E-Mobilität macht.

Versprochen wird ja, dass die Umwelt ohne Verbrennungsmotoren sauberer wird, und dass das Feinstaubproblem verschwindet.
KISKA: Es ist ja lustig, mit welchen Begriffen bei der Diskussion um Verbrennungsmotoren hantiert wird. Etwa bei der Feinstaubbelastung: Tatsache ist, dass in einem Raum eine vierfach höhere Belastung zulässig ist als außerhalb der vier Wände. Und so lange es Teppichböden gibt, wird sich das nicht ändern. Heißt das jetzt, dass alle, die drinnen sind, früher sterben, und jene, die draußen sind, länger leben?
PIERER: Es ist vielfach der Hausverstand nicht da und die Zusammenhänge werden nicht berücksichtigt. Reifen, Bremsen, Splitt, Staub – keiner redet über Zusammenhänge.
KISKA: Und wenn man mit Fakten argumentiert, wird man gleich als Ewiggestriger bezeichnet.

Wie wird sich Design entwickeln, wie kann man die Jungen beeindrucken, halten?
KISKA: Kein Mensch interessiert sich für Design. Das meine ich ernst. Die Leute interessieren sich für das Produkt und seine Anwendung. Unser Gedanke lautet daher immer vorab: Was ist die Anwendung, wo geht das Produkt in Zukunft hin? Und dann: Wie muss es kommunizieren, das heißt, wie muss ich es designen? Da gibt es interessante Themen in der Zukunft, etwa das Zusammenwachsen von Fahrrad und Motorrad auf E-Basis. Da hat das Design die Aufgabe, neue Fahrzeugkategorien auch unmissverständlich zu kommunizieren.

Von welchem Zeithorizont reden wir da?
KISKA: Von den nächsten fünf bis zehn Jahren. Da sind wir schon mitten in der Arbeit.
PIERER: Etwa für E-Stand-up-Scooter-Konzepte. Richtig gemacht, könnte das ein Alternativkonzept für die Kurzstrecke in der Stadt sein.
KISKA: Ich glaube, dass es alle möglichen Verschnitte geben wird. Mobilitäts-Cuvées also.

Suchen Automobilhersteller deshalb die Nähe zu Ihnen?
PIERER: Ja, man versucht manches zusammen.
KISKA: Von der Last-Mile-Anwendung bis zu echten Alternativen, alles dazwischen ist erlaubt.

Können die Autohersteller beim Zweirad zu Konkurrenten werden?
PIERER: Autofirmen werden ohne uns solche innovativen Zweiradkonzepte nicht umsetzen können. Da haben wir das beste Know-how. Fix ist: Das kleine Moped, der kleine Roller verbindet sich mit dem E-Bike. Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir neben der scharf zugespitzten KTM-Marke auch eine zweite Motorradmarke haben: Husquarna. Die haben alles auf zwei Rädern in ihrer Geschichte gemacht. Wir verkaufen sensationell, und mit der Marke kann ich das Mobilitätsthema, auch das urbane, spielen oder auch bei E-Bikes. Was ich damit sagen will: Wir sind schneller und flexibler als Autohersteller und eigentümergeführt. Wenn es sein muss, gehen wir in eine andere Richtung – aber schnell und sofort. Wenn ein Blödsinn passiert, drehen wir halt wieder um.

Und ein überdachtes Zweirad-Konzept à la BMW C1 – wäre das ein Thema?
PIERER: Das hätte sich bis jetzt für uns nicht gerechnet.
KISKA: Wir sind mit Piaggio zusammen in einem EU-Projekt, in dem wir so etwas bauen. Wir können deshalb gut einschätzen, was es kostet. Da bist du schon in der Preisregion eines günstigen Autos.

Noch einmal zurück zum Wertesystem: Was wird anders bei der Generation Z?
PIERER: Das, was sich jetzt in der Einstellung der Jungen verändert, wird das Auto unter Druck bringen.
KISKA: Das ändert sich wieder schlagartig, wenn das Leben sozusagen normal wird. Familiengründung, Kinder ...
PIERER: ... Dann brauchst du einen Platz ...
KISKA: ... Und du hast einen täglichen Mobilitätsbedarf. Das Eintrittsalter in die Autowelt verschiebt sich.
PIERER: Und dann ist die individuelle Mobilität wieder im Spiel. Du gibst dein Baby nicht gerne in ein versifftes Auto, in dem du der 68. bist, der sich das Auto teilt.
KISKA: Carsharing betrifft Städte mit über einer Million Menschen. In Schanghai, wo wir ein Büro haben, nütze ich alle Sharing-Angebote, es ist immer so viel Mobilität da, dass du immer etwas zum Fah­ren hast. Städte wie Graz, Linz oder Salzburg sind zu klein für große Carsharing-Lösungen.
PIERER: Klar ist: Das Zweirad wird in großen Städten zu einem viel stärkeren Thema. Letztlich muss es daher zu einer Spur-Entflechtung zwischen Autospur und Radlerspur kommen. Anders geht es nicht mehr. Dass ich in gewissen Bereichen das Auto zurückdrängen muss, wenn zu wenig Platz da ist: logisch! Ich muss den Zufluss stoppen.
KISKA: Und man muss zuerst Alternativen bieten, etwa damit es für die Zweiräder besser in der Stadt wird – erst wenn ich ein Angebot stelle, wird es auch genützt.

Wie beeinflusst man die Design-Wahrnehmung der Generation Z, die von sozialen Netzwerken getriggert wird?
KISKA: Die Bedienung wird beim Motorrad intuitiver werden, es wird weniger Knöpfe geben. Wir haben in Start-ups gemeinsam inves­tiert, die Aufmerksamkeit der Menschen zu verbessern.
PIERER: Die Reaktionsgeschwindigkeit einer älter werdenden Fahrergeneration nimmt ab, das werden wir mit Bedienkomfort wettmachen. Wir sehen eine attraktive Zukunft für das Motorrad, auch in den unteren Klassen. Wir können die Lösung für die urbane Mobilität werden.